Lewitscharoff, Sibylle
Drastik kennt und ihn missbilligt, vorsorglich den Finger
hebt, damit ich kein Schimpfwort verwende: von mir aus, ganz wie ihr wollt, ihr
hartkiefrigen bulgarischen Kernbeißer, eure Männer sind also auf der Treppe -
Treppe,
so eine harmlose, um die Kurve gehende Degerlocher Einfamilienhaustreppe,
Familienmieftreppe, die man einmal in der Woche mit dem Staubsauger behandelt,
belegt mit einem roten (auch nicht mehr der jüngste) Teppich, und, da kann ich
gar nicht hinschauen, ohne Hand anzulegen, an der Kurve liegen sie wieder mal
lose herum, die zwei Messingstänglein, die immer aus der Halterung rutschen,
Treppe, bei der die vierte und die neunte Stufe knarrt, sofern man sie nicht
überspringt -
Aber
ja, aber ja, aber ja, eure Geheimdienstmänner sind ordentliche Leute, deshalb
schieben sie die Messingstangen dahin zurück, wo sie hingehören, und gewieft,
wie sie sind, überspringen sie die zwei knarrenden Stufen, und die Großmutter
hört nichts, nichts, nichts, absolut nichts, nicht wie sie im ersten Stock
anlangen, den brütenden Vater im Balkonzimmer überfallen, ihm den Mund
verstopfen, ihn ins Bad schleppen, das Wasser einlassen, ihm den Kopf unter
Wasser halten, ihm die Pulsader aufschneiden, warten, bis er bewusstlos ist, dann
leise leise, taps, taps, taps, den Weg rückwärts an allen wieder vorbei nehmen
und dabei um ein Haar von der Mutter erwischt werden, die mit Einkäufen beladen
aus der Garage kommt.
Ihr
lieben Verwandten, bestimmt ist eure Theorie raffiniert genug, um zu erklären,
warum dieser Versuch fehlschlug und der zweite auch. Es sei aber ohne weiteres
zugegeben, dass der Geheimdienst es beim dritten Versuch einfacher hatte. Ihn
in der leeren Praxis an ein Heizungsrohr zu hängen war ein Kinderspiel.
Ein
Protobulgare bringt sich nicht um, dies euer liebstes Argument. Und das ganze
Gemurkse ersonnen, weil es nicht in eure Köpfe will, dass ihr in eurem
ureigenen Familiensumpf ein mürbes Geschöpf herangezüchtet habt, so eine
weichliche, selbstische Seelenmolluske, die bei der kleinsten alltäglichen
Belastung ins Zittern geriet. Kennt ihr die Geschichte vom Waschbecken? Dem
Waschbecken, das in der Praxis aus der Wand zu bröseln begann? Die Mutter
entdeckte den Schaden und geriet in eine solche Panik, dass sie ihren Mann
sofort nach Davos zum Skifahren schickte, um es heimlich reparieren zu lassen, weil
ihm der Anblick eines aus der Wand brechenden Waschbeckens nicht zugemutet
werden konnte.
Seine
Blutsauerei im Badezimmer. Was Wunder, dass sie seinen Töchtern einen Reinlichkeitsfimmel
bescherte. In unseren Badezimmern kann man von den Böden, Kacheln und Wannen
essen. Ehrenwort, da klebt nirgendwo ein Tropfen Bulgarenblut oder sonst
irgendeine Sauerei. Nicht in unseren Badezimmern, das garantieren Ata, Vim, Domestos,
Gummihandschuhe und Brillen, die wir extra zum Badezimmerputzen aufsetzen.
Der
Vater macht nun schon seit neununddreißig Jahren Gebrauch von der Ewigkeit.
Wenn wir ihn hätten rächen sollen, hätte er uns Bescheid gesagt.
Vielleicht
- aber dieses Vielleicht und was es ins Denken zieht, ist ein äußerst
zaghaftes, ein noch gar nicht logisch durchdachtes, sondern eher in eine
Vorform des Denkens gewobenes Durcheinander - vielleicht will sich die Tatsache,
dass meine Schwester und ich polnische Putzfrauen beschäftigten, mit denen wir
sehr zufrieden waren, obgleich wir ihnen hinterherputzten, indem wir unsere
Badezimmer mit Hilfe von Ata, Vim, Domestos und Gummihandschuhen, nicht zu
vergessen den Brillen, jeweils doppelt reinigten, und zwar jedes Mal heimlich,
weil wir unsere Putzfrauen nicht kränken wollten, und dass ferner diese beiden
in den Städten Frankfurt und Berlin unabhängig voneinander beschäftigten
Polinnen, die keinerlei Verbindung zueinander hielten, ja, wahrscheinlich nie
voneinander gehört hatten, in einem Abstand von nur fünf Monaten Selbstmord
begingen, und zwar erst die Frankfurterin in Frankfurt und danach die
Berlinerin in Krakau, wobei die erreichten Alter der beiden Frauen den
Sterbezeitpunkt des Vaters gleichsam flankieren, denn die in Frankfurt
Gestorbene war mit ihren zweiundvierzig Jahren ein Jahr jünger als unser Vater
zu seinem Todeszeitpunkt, während die in Krakau Gestorbene mit ihren
vierundvierzig Jahren ein Jahr älter war - vielleicht wollen sich diese
rätselhaften Doppelfälle zu einem väterlichen Wink formen, der - ja was?
Blödsinn
ist. Ein sich ballender und dann wieder auseinanderfahrender Schwarm
blödsinniger Gedanken.
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