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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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Meer.
     
    Ans
Meer
     
    Richtung
Schwarzes Meer bin ich schon einmal gefahren. Das ist lange her. Während meiner
ersten Bulgarienreise war ich ohne die Familie unterwegs. Lilo hatte mich eingeladen,
wir fuhren zu dritt, sie, ihre Tochter und ich. Meine Schwester verbrachte die
Ferien unterdessen in einem Kinderheim in den Schweizer Bergen.
    Bis
Sofia war es herrlich. Lilo chauffierte einen taubenblauen Mercedes Cabrio.
Meistens fuhren wir mit offenem Verdeck, Lilo in einen rosefarbenen Schal
gehüllt, mit weißen, durchbrochenen Handschuhen und einer mondänen
Sonnenbrille auf der Nase. Lilo war der Traum aller Lastwagenfahrer und jedes
Arbeiters, dem es gelang, auf dem staubigen Autoput zwischen Zagreb und Belgrad
einen Blick auf sie zu werfen. Die Grenzer setzten beim Heranrollen des Wagens
überkorrekte Mienen auf, wurden von ihr aber im Nu erweicht, bis ins Mark ihrer
sturen Grenzerknochen hinein. Mehr aus Freude, noch eine Weile mit der Frau in
Kontakt bleiben zu dürfen, denn aus Berufspflicht inspizierten sie den
taubenblauen Märchenwagen, öffneten die Motorhaube, öffneten den Kofferraum,
ließen sich die Schweinslederkoffer zeigen und konnten sich gar nicht daran
sattsehen, wie die überaus verlockende Frau deren Schlösser schnappen ließ.
Seidene Unterkleider, spitzenbesetzte Hosen, ein Beautycase von Samsonite
gefüllt mit Nagellackfläschchen und Schmuck, lauter Dinge, von denen es
funkelte und blitzte, wie wenn man von einer Schatztruhe den Deckel hob; und
alles in wohliger Ordnung. Wie stolz sie war auf ihre hübschen Sachen!
    Sie
hatte eine Eselsgeduld, ihr machte so etwas einfach Spaß, sie sah darin keine
Schikane, sondern ein lustiges Abenteuer mit verdrucksten Männern in Uniform,
vor denen sie mit bezaubernder Grazie ihre Sonnenbrille abzog, die Locken
ausschüttelte und girrend und lachend ihre weißen Zähne und ja, natürlich,
aber bitte gern, auch Paß und Führerschein zeigte.
    Sehr
im Gegensatz zu unseren Eltern, die mit zwielichtigen Pässen, als heimatlose
Ausländer an jede Grenze heranfuhren, zornrot der Vater,
hektisch die Mutter, auch sie absurderweise zur heimatlosen Ausländerin
geworden, weil die beiden 1945 geheiratet hatten, als das neue Staatsbürgerrecht
noch nicht in Kraft getreten war und eine Deutsche, die einen Ausländer
heiratete, automatisch ihre Staatsbürgerschaft verlor.
    Brütend,
in einer Wolke aus Unglück und unterdrückter Wut, hockten sie vorne im Citroen
und benahmen sich wie Verdächtige, der Vater war noch Stunden danach dunkel
gelaunt wegen der Schmach, die er wehrlos hatte ertragen müssen, die Mutter
konnte von ihren eifernden Posen nicht lassen und verwünschte die gesamte
faschistoide Welt. Mit unseren Eltern zu verreisen war eine Pein, mit Lilo die
Grenzen zu passieren ein Vergnügen.
    Während
der Fahrt saß oder vielmehr lag ich meistens hinten. Freiwillig, die Rückbank
war schon immer mein Lieblingsplatz. Ich war neun. Um diese Zeit begann ich ein
Gespür für die Qualen der Eifersucht zu entwickeln. Um Eifersüchtige machte man
besser einen Bogen, es war klüger, sie nicht zu reizen. Lilos Tochter, drei
Jahre jünger als ich, war extrem eifersüchtig, die kleinste Gunstbezeugung, die
Lilo mir erwies, machte sie rasend. Es erschien also nicht ratsam, allzu nah an
ihre Mutter heranzurücken und damit Anspruch auf einen Platz anzumelden, der
allein der Tochter gebührte. Außerdem war der Blick auf die Straße für mich
wenig interessant, ich fühlte mich wohler auf der Rückbank. Ein bequemes
Kopfkissen war zur Verfügung. Wenn es zu sehr windete, kroch ich unter die
Decke, vor grellem Licht schützte mich eine Kindersonnenbrille. Damit der Wind
es nicht verflatterte, war das Haar mit einem Tuch festgebunden.
    Im
Liegen, während der Fahrt, ohne ein hemmendes Autodach zwischen Auge und
Himmel, ließ sich das Theater dort oben in doppelter Bewegtheit genießen. Der
jugoslawische Himmel zeigte sich tiefdunkelblau und doch eigenartig glühend,
was vermutlich auf die Tönung der Sonnenbrille zurückging.
    Flaumige,
blässliche Wolkenherden zogen über ihn hin, Wolken mit lang ausgezogenen
Schweifen, Wolken, die durch gedrehte Nabelschnüre miteinander verbunden waren,
dann wieder gestauchte Wolken mit mächtig aufgeblasenen Häuptern, dazwischen
sich kreuzende Kondensstreifen. Sie hatten zum Gegenspieler die Sonne, die mit
heißen Strahlen nach den Wolken zielte, alle Wolken wegbrannte, Sonne, die
ihren Platz am Himmel lodernd behauptete, bis sich

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