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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
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eine neue Wolkengruppe
formierte und prachtvoll wuchs.
    Die
Schaukämpfe in weiter Höhe erzeugten eine erhabene Erregung. Alles war zu
meiner Unterhaltung bestellt. Lilo, Lilos flatternder Schal, der Mercedes, die
cremefarbenen Lederpolster, uns überfliegende Vögel, die ziehenden
Himmelbilder. Freie, flüssige, schmiegsame Welt. Eltern weg, Schwester weg,
juhu! Alles bewegte sich für mich, lief wie geschmiert, dröhnte für mich,
zwitscherte für mich, ließ perfekte Kolben im perfekten Takt laufen, schickte
mir Träume, drückte mich sacht gegen die Rückenlehne, wo ich mich sicher fühlte
wie nie zuvor. Ich musste ein bedeutendes Geschöpf sein, wenn soviel Aufwand
getrieben wurde, um ein für allemal mein Unglück zu verscheuchen.
    Ich
war glücklich.
    In
Sofia war damit Schluss. Man hatte mich ausgesetzt. Lilo hätte mich genausogut
im Dschungel allein lassen können. Da saß ich nun in der ranzigen,
überstopften Wohnung der Großeltern in einem neuen Unglück, das zugleich ein
uraltes war. Saß auf einem der hochlehnigen, schwarzen Stühle aus besseren
Tagen, bezogen mit olivgrünem Samt, auf dem sich großblättriger Wein
ineinanderrankte.
    Die
Stühle blieben nicht lange leer. Viele, viele Verwandte waren zu meinem
Empfang gekommen, verwirrend viele, sie fanden kaum Platz. Nur der Großvater
kam mir wie ein vernünftiger Mensch vor, weil er ruhig am Kopfende des Tisches
saß, kein Wort sagte und mich wohlwollend musterte.
    Die
Großmutter kannte ich ja schon und wich ihr, wie üblich, aus. Zur Einstimmung
wurde mir ein Tellerchen mit sladko, einer
Süßigkeit, vorgesetzt, irgendeine Obstmumie saß da in einem außerordentlich
zähen Sirup wie in Bernstein fest, bräunlich die Farbe, am schlimmsten der
Geschmack. Das Zeug war so süß, dass es schmerzte.
    Ich
schob den Teller weg, aber für mich selbst gab es kein Entkommen, ich saß fest,
Übergossen, umspeichelt, umklebt vom fremden Redefluss und den Liebkosungen
der aufgeregten Verwandten.
    Eingeprägt
haben sich mir die Schwestern der Großmutter. Die älteste war schon sehr alt
und konnte nur noch am Stock gehen. Eine ruhige, abwartende Natur zunächst, die
sich dann aber in jähen Ausbrüchen Geltung verschaffte, indem sie sich gewaltig
räusperte, als warte in ihrer Brusthöhle ein Riesenbatzen Schleim auf eigenes
Rederecht.
    Den
Trupp der Schwestern führte Tante Zweta an, eine Kokotte mit Zigarettenspitze.
Ich sah ihren Mund, und sogleich fiel mir ein Wort der schwäbischen Großmutter
ein: Hure Babylon. Dieser
Mund! Er konnte nur der Hure Babylon gehören. Von Natur aus ein dünnlippiger,
war er gewaltig über die Lippenkontur hinausgeschminkt, dass ein halb
teuflischer, halb kasperlehafter Rotmund entstanden war, an den Rändern
verschmiert, fast bis über die halbe Wange lief das Geschmier, so ein
überbeweglicher, dauerbewegter, vom Lachen aufgerissener Mund; Mund mit
schlechten Zähnen dahinter, vor dem mir entsetzlich graute, weil ich
fürchtete, auch von ihm einen Kuss empfangen zu müssen, was gottlob unterblieb.
    Ich
muss ein zutiefst humorloses Kind gewesen sein.
    Tante
Zweta war kurios, aber ich erkannte den verzweifelten Witz, den Stolz nicht,
die sie aufbrachte, wenn sie in den gedrückten Verhältnissen, worin damals alle
Menschen gekleidet gingen, als wären sie auf eine Ameisenprozession
abkommandiert, sich aus alten Vorhangstoffen feuerfarbe-ne, großblumige Kleider
schneiderte und damit der allgemeinen Trostlosigkeit ringsum die Stirn bot
oder vielmehr den Mund, einen leuchtenden Mund, einen alle kommunistische
Gleichmacherei verspottenden Provokationsmund.
    Auch
sonst war Tante Zweta eine interessante Erscheinung. Sie rauchte, um ihre
Verruchtheit zu betonen, und ärgerte damit den Großvater. Mir waren ihre Reden
nicht verständlich, weil sie nur Bulgarisch sprach, während einige Verwandten
brockenweise Deutsch, manche ziemlich gut Französisch konnten, was ich damals
zwar auch nicht verstand, doch wurde es möglich, in dem deutschfranzösischen
Mischmasch die ersten Annäherungen zu erzielen.
    Sie
war mager und krummbeinig, von Natur aus keine schöne Frau. Aber da waren die
grünlichen Augen und das eher helle, wenn auch nicht blonde Haar, dem sie durch
Färben eine rotblonde Note verlieh. Überquellendes, überlebendiges Gefahrhaar.
Augen- und Haarfarbe genügten, um sie bei den wie Irrsinnige auf die Farbe
Blond fixierten Bulgaren zu einem begehrten Objekt zu machen. Später erfuhr
ich, Tante Zweta habe in ihrer Wohnung

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