Lewitscharoff, Sibylle
schüchtern und aus Schüchternheit um ein Winziges
ungeschickt. Vom Kaffee sind paar Tropfen über den Rand der Tasse in die
Untertasse gelaufen. Sie ist untröstlich. Ich versuche sie auf englisch zu
beruhigen und ernte ein Lächeln, das mich verwandelt.
Enthusiasmus
bricht aus. Oh, die Bulgaren sind überirdisch schön, überirdisch gut, eine
Unterhaltung in ihrer Sprache wäre vielleicht seraphisch.
Ein
kurzer Brautflug. Der Kaffee schmeckt schlimm. Die tropfende Tasse darf die
Mappe nicht beschmutzen.
Eine
spezielle Mappe, eher ein Mäppchen, ursprünglich weiß, jetzt grau, versehen mit
dem Aufdruck Kolektanto und
weiteren Aufschriften, die in ein Rundsiegel gefasst sind, das um einen
stilisierten Erdball mit darin eingeschlossener Fackel kreist: Amica
Rondo - Klubo de la Esperantistoj - Filatelistoj. Es
war die Lieblingsidee unseres Großvaters, die Philatelisten mit den
Esperantisten zu verbinden und sie unter dem Dach der Lehren Tolstois zu
versammeln. Diesem Zweck gemäß gab er ein Bulletin heraus, das er selbst zu
weiten Teilen verfasste und auf eigene Kosten drucken ließ, Bulletin, welches
er sechsmal im Jahr versandte, obwohl er die Portokosten dafür kaum erübrigen
konnte. Nach getaner Arbeit wartete er sehnsüchtig auf Reaktionen, die zu
seinem Leidwesen - wenn überhaupt - nur spärlich eintrafen.
In
Sofia liegen noch Stapel von Aktenordnern in einer Besenkammer. Sie enthalten
seine Korrespondenz in Esperanto, nicht nur Briefe, die er aus verschiedenen
Ländern empfangen hat, sondern auch die säuberlich getippten Durchschläge der
eigenen Episteln, alle engzeilig, die Maximalbreite der Maschine ausnützend.
Es fällt auf, dass seine Briefe seitenlang sind und die Antworten, die er
erhielt, kurz.
Die
Originalblätter mit der wie eine winzige Raupe um sich schlagenden Schrift
erzeugen beim Betrachten eine leichte Panik, jeden Fitzel Papier hat der
Großvater bedeckt. Alles umsonst. Vielleicht heißt die Botschaft solcher
Blätter: alles Geschreibsel ist umsonst.
Ich
bin verzweifelt. Ich lebe in der Gewissheit meiner Minderwertigkeit. Ich sage
mir: Luhomir, warum machst du dich lächerlich mit deinen Briefen und
Petitionen. Siehst du denn nicht, dass selbst deine engsten Freunde dir nicht
mehr schreiben. Borko Liachow, Georgi Penew, Koljo Gentschew, und selbst der,
auf den du die größten Hoffnungen gesetzt hast, der Doktor Kantarew, selbst ihm
ist es zuviel geworden, sich mit deinen »Philosophien« zu beschäftigen. Er hat
dich mit zwei, drei Zeilen als »Antwort« auf deine langen Briefe abgespeist.
Stojan Batakliew antwortet nicht mal auf deine Fragen, sondern weicht aus und
beschäftigt sich mit dem Rheumatismus seiner Frau. Wlado Futscharow hat dir zu
verstehen gegeben, dass es ihm unangenehm sei, über sozialethische oder
politische Themen zu korrespondieren. Doch siehe an, Chaim A. Israel, dem ich
geschrieben hatte wegen seines Artikels über die sexuelle Erziehung der Kinder,
er schreibt mir, meine Ansichten stimmten mit den seinen voll und ganz überein.
Ich fühle mich geschmeichelt. Es bedeutet, ich bin nicht ganz verloren,
wenigstens für heute einmal nicht.
Eine
Gefängnisarbeit. Ein Gefangener schickt Tag für Tag Briefe in die weite Welt,
und man liest sie so recht und schlecht, bis sie niemand mehr liest, nur der
Zensor beugt sich noch über die Briefe mit halb verhangenen Augen, bis sie ihm
zufallen über dieser faden Arbeit; irgendwann hört auch er auf, sich damit zu
befassen.
Die
wenigen Stücke, die uns Rumen aus der Unzahl an Tagebüchern, Episteln,
Eingaben, Beschwerden, Nachträgen, Artikelchen in Fachmagazinen übersetzt hat,
zeugen von einem in die Enge getriebenen Menschen, der sich um lächerlicher
Kleinigkeiten willen aufreibt, den die unbegreifliche Nachlässigkeit seiner
Mitmenschen schier um den Verstand bringt, dem überall Verständnislosigkeit
begegnet, der überall Verrat wittert und sich darüber erbittert.
Mit
dem Sofioter Zentralverband der Kaninchenzüchter legte er sich an, weil in
einer Ausstellung Chinchilla-Kreuzungen fälschlicherweise als Chinchilla etikettiert worden waren, der Blaue
Wiener und der Silberne Angora auf
eine Würdigung vergeblich warteten. Der am Eingang ausgestellte
Modellkäfig war mangelhaft. Die blechernen Essnäpfe waren unbequem. Das
Befruchtungskästchen war viel zu klein. Und so, wie es innerhalb der Gitter
aufgestellt war, hätte das Weibchen gar nicht die Möglichkeit gehabt, in sein
Nest zu kommen.
Und
dann dieses
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