Lewyn - Die Halbelbin: Reise durch Garnadkan (German Edition)
Gerade war die Sonne dabei, sich für diesen Tag zu verabschieden. Sie tauchte die Wolken, die am tiefsten über die Gestrandeten hinwegzogen, in ein sanftes Orange bis hin zu einem kräftigen Rot. Darüber zeichnete sich eine wesentlich dunklere Färbung ab. Dort war hauptsächlich ein tiefes Violett zu erkennen. Der restliche Himmel war schwarz, außer dem westlichen Horizont. Der wurde auch jetzt in ein freundliches Blau mit türkisfarben versehenen Bändern getaucht.
Das tiefe Stöhnen neben ihr riss die Dreiundzwanzigjährige aus ihren gedankenverlorenen Betrachtungen. Vorsichtig setzte sie sich auf und blickte zu Cadar.
„Bist du verletzt? Sag, wie kann ich helfen?“ Als sie keine Antwort erhielt, rappelte sich die junge Frau gänzlich auf und ging besorgt die wenigen Schritte bis zu ihrem Vater.
„Ich fürchte, wenn du nicht ein Kraut oder ähnliches bei dir hast, was Knochenbrüche heilt, wirst du nichts tun können.“
„Heidil.“ Müde setzte sie sich neben ihn. Sie reagierte nicht auf seinen strafenden Blick.
„Wie konntest du nur so leichtsinnig sein?! Was, wenn auch hier Feinde in der Nähe sind? Sie scheinen unseren Weg genau zu kennen. – Andererseits hätte ich erwartet, dass du nach den letzten Anstrengungen zusammenbrechen würdest. Du bist um einiges stärker, als es den Anschein hat.“ Nun war es der Mann, der verstohlen zu der neben ihm Hockenden schaute. Schwäche, vor allem Trauer zeichneten ihr junges Gesicht. Der Verlust des Freundes war unerträglich. Zudem hatte sie ein weiteres Mal einen Elb durch den Tod der Dunkelheit entreißen müssen. Er überlegte kurz. Durch die Anwendung der Magie seiner Tochter war er nicht nur von den eigenen Verletzungen befreit. Er fühlte sich ebenfalls nicht mehr von Schwäche gefangen.
„Nein, spare deine Kräfte. Du sagtest selbst gerade, dass wir nicht wissen, was uns hier erwartet. Ich vermute allerdings, dass wir uns in der Nähe der Berge der zwei Könige befinden. Wir sollten hier eine Weile rasten. Außerdem werden wir beide bei Kräften sein müssen, wenn uns das hiesige Grauen begegnet. Ich habe nun genug sterben sehen. Ich ertrage es nicht mehr.“ Müde und traurig ließ sie den Kopf in die Arme sinken. Soh’Hmil! Warum hatte sie ihm nicht helfen dürfen?
„Du kennst die Antwort. Auch ich bedaure seinen Verlust. In der kurzen Zeit, da wir gemeinsam reisten, ist er mir ein Freund geworden. Ich glaube zu verstehen, wie sehr es dich treffen muss.“ Cadar überbrückte den kleinen Zwischenraum, nahm sie in den Arm und strich behutsam über ihr dunkles Haar. Sie ließ es geschehen, hob den Kopf und sah verlegen zu ihm.
„Danke, dass du für mich da bist, so besorgt an meiner Seite weilst. Ich wünsche nur noch, dass du, mein Vater, nicht zu jenen gehören wirst, die in meiner Nähe ihr Ende finden. Ich habe nie geglaubt, dass du mir einmal fehlen könntest.“ Lewyn lehnte ihr Haupt an die Schulter des Mannes, der einmal ihr größter Gegner war. Nach einiger Zeit vernahm Cadar ein leises Seufzen. Als er versuchte einen Blick in ihr eingefallenes Gesicht zu erhaschen, stellte er überrascht fest, dass die Enkelin Asnarins fest eingeschlafen war. Um sie nicht zu wecken, verhielt er möglichst lange in seiner momentanen Position. Obwohl es ihn schmerzte, seine Tochter so verzweifelt zu sehen, freute es ihn doch, dass sie endlich zu ihm gefunden hatte. Seit dem Aufbruch von den Zwergen hatte sich ihr Verhältnis stark verändert. War sie ihm zuvor aus dem Weg gegangen, suchte sie nun seine Nähe. Das Warten auf diese Wandlung währte für ihn unerträglich lange. Jetzt war es beendet.
Der frühe Herbst schickte wärmend seine Morgensonne auf ihren täglichen Weg. Leicht kitzelten die hellen Strahlen die Schläfer im Gesicht, bis diese erwachten. Lewyn blickte erstaunt auf. Cadar hielt sie auch jetzt noch in seinem Arm. Dementsprechend verspannt war sein Erwachen von stechenden Schmerzen geprägt.
„Verzeih. Ich wollte dich nicht so sehr beanspruchen.“
„Dennoch bin ich glücklich darüber. Es war das erste Mal, dass ich etwas so Wertvolles wie ein Freund für dich sein konnte.“
„Nicht wie ein Freund, wie ein Vater.“ Sie schenkte ihm ein sanftes Lächeln, dass es für den Moment schaffte, die Trauer zu überdecken. „Wenn dir deine Glieder wieder gehorchen, sollten wir nachsehen, wo wir uns befinden. Ist der Feind nicht in der Nähe, davon gehe ich aus, gönnen wir uns einen Tag der Ruhe.“ Sie hatte sich endlich
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