Lewyn - Die Halbelbin: Reise durch Garnadkan (German Edition)
zurück. Im Vorübergehen erblickte sie einen kleinen Silberspiegel. Als sie einen flüchtigen Blick hineinwarf, knurrte sie ein „Hm“. Der Freund hatte Recht. Sie brauchte diesen einen Tag wohl mehr als alle anderen. Nicht allein der Spiegel brachte sie zu dieser Erkenntnis. Die letzten Monate hatten nicht nur ihre Begleiter an deren Grenzen gebracht.
Lewyn war müde. Sich auf ihrem bequemen Lager befindend, erwartete sie sofort einzuschlafen. Doch die Vision, die sie zuletzt gesehen hatte, verhinderte den Erfolg ihrer Bemühung. Sie war bereits drauf und dran, das Bett zu verlassen, als sie sich der Lehren von Umodis erinnerte. ’Lausche der Natur. Nichts bringt dir mehr Frieden als ihre Reinheit.’ Der Gedanke an den einstigen Gefährten, an ihren Großvater, tat weh. Doch befolgte sie seinen Rat und war bald eingeschlafen. Erst am nächsten Morgen erhob sich die Einundzwanzigjährige von ihrer weichen Ruhestatt. Schon jetzt konnte sie spüren, wie gut ihr der Schlaf getan hatte. Sie war froh über die Entscheidung, die ihr der erste Krieger der Elben mehr oder weniger aufgedrängt hatte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Es ist schön, dass du gut geschlafen zu haben scheinst. Noch schöner und recht erstaunlich ist, es scheint dir zudem gut bekommen zu sein.“ Nerairs freches Grinsen erinnerte an den lieben Freund, den sie hatte in Leranoth zurücklassen müssen. Der würde sich in den nächsten Tagen sicher mit Feregor zusammen auf den Weg zur Taseres machen. Aber dort würden sie diesmal einander nicht begegnen. Asnarins Enkelin hoffte, dass die Freunde spüren konnten, dass alles in Ordnung war. Vielleicht hatte Ashargna die Antwort für sie.
„Ja, die Ruhe findet nicht nur euer Gefallen. Wir sollten den heutigen Tag zur weiteren Stärkung nutzen. Wer weiß, wohin uns der nächste Weg führt. Außerdem können wir in Hengreth noch einmal gut speisen.“ Sie deutete lächelnd auf die beiden älteren Freunde, wusste sie doch, wie gerne die einem deftigen Mahl zusprachen. „Ich werde Fesnuhr bitten, uns Vorräte mit auf den Weg zu geben.“
„Tu es nicht.“ Thelan versuchte ernst zu bleiben. Aber seine Augen verrieten ihn.
„Ah, das habt ihr schon getan. Ich nehme an, sie sind bereits dabei, den Proviant nicht nur für uns zusammenzutragen.“
„So ist es. Doch werden uns nicht alle begleiten. Einige, vor allem von den Alten, wollen lieber im Schutz Hengreths bleiben. Den Jungen aber geben sie gern die Chance für ein anderes Leben. Hoffentlich bereuen die es nicht.“
„Lewyn, warum können sie nicht kommen und gehen, wie sie wollen? Der Feind blieb doch auch für uns blind.“
„Vielleicht hatte das Schicksal noch etwas anderes im Sinn als nur Schutz. Vielleicht sollte es gleichzeitig eine Lektion sein. Ich kann deine Frage nicht beantworten.“
„War es dir deshalb möglich die Barriere mehrmals zu passieren, weil du nicht hierher gehörst?“
„Ich weiß es nicht. Aber ich werde Fesnuhr fragen, wann sie das letzte Mal versuchten, das Tal zu verlassen. Mittlerweile ist es ihnen möglicherweise doch gestattet.“
Kurz darauf trafen sie auf den Stadtherren.
„Ihr versucht also, von Zeit zu Zeit eure Heimat zu verlassen?“
„Ja, Herr Nirek. Einmal im Jahr wird einer unserer jüngeren Männer auserkoren, das Unmögliche zu versuchen. Der Weg endete immer an der gleichen Stelle.“
„Habt ihr das Tal denn schon gebeten, euch gehen zu lassen? Manchmal soll so was helfen.“
„In unserer Verzweiflung taten wir auch das. Obgleich wir nicht glauben, dass der Fels hören kann.“ Er schmunzelte ein wenig. Ein Tal, das die Wünsche seiner Bewohner vernehmen konnte. Das war schon eine sonderbare Vorstellung.
„So abwegig, wie Ihr denkt, ist es nicht. Dieser Ort ist voller Magie. Ihr solltet nie etwas für unmöglich halten.“ Die Gefährten standen währenddessen im Garten und erfreuten sich noch eine Weile an seiner Pracht. Nur die Einundzwanzigjährige sah etwas abwesend zu der Stelle, an der sie am vergangenen Tag geschlafen hatte.
„Holt die Pferde! Ich will sehen, ob der Weg noch frei ist.“
„Wenn ich mich nicht täusche, sagtest du was von Erholung.“
„Die hatten wir. Einen kleinen Ritt wirst du doch nicht als anstrengend bezeichnen?“ Sie schlug Nirek gegen die Schulter und ging zu Bakla. Der schnaubte freudig, als er seine Herrin sah. Auch die anderen Tiere begrüßten ihre Reiter.
„Es reicht doch, wenn ich mit dir komme. Gönne ihnen die Ruhe.“
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