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Lexikon der Oeko-Irrtuemer

Lexikon der Oeko-Irrtuemer

Titel: Lexikon der Oeko-Irrtuemer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk und Miersch Maxeiner
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Boykottaktion heute einen bitteren Nachgeschmack. Sie basierte auf falschen Angaben und falschen Annahmen.
    Die unabhängige norwegische Gutachterfirma »Det Norske Veritas (DNV)« untersuchte sowohl die Ölplattform selbst als auch die Möglichkeiten der Entsorgung an Land und im Meer. Dabei stellte sich heraus, daß Greenpeace die Öffentlichkeit über die an Bord befindlichen Stoffe und damit über die ökologische Gefahr falsch informiert hat. Gifte, die angeblich an Bord waren, wurden beim Nachprüfen nicht gefunden. Die »Brent Spar« war keine Giftinsel, sondern schlicht ein Ungetüm aus Stahl. Die Greenpeace-Angaben über Ölreste waren um das Hundertfache zu hoch. 1
    Das zweite Ergebnis der DNV-Untersuchung zeigte: Alle Entsorgungsverfahren haben Vor- und Nachteile. Die ursprünglich geplante Versenkung wurde dabei weitgehend rehabilitiert. Hinsichtlich der direkten ökologischen Effekte - und um diese ging es bei der ganzen Protestaktion - liegt sie gemeinsam mit Landentsorgungsoptionen im Mittelfeld. 2 Die »Brent Spar« hätte im Nordatlantik als künstliches Riff allenfalls einen zusätzlichen Lebensraum für Meerestiere abgegeben.
    In anderen Gebieten schufen Naturschützer mit gereinigten Wracks gezielt künstliche Riffe, denn der flache Meeresboden bietet Pflanzen und Tieren schlechtere Siedlungsbedingungen als die strukturreichen Metallskelette. Die Natur neutralisiert und überwuchert den Schrott in kurzer Zeit, und es entstehen Biotope für Muscheln, Korallen, Krebse und Fische. Auch darauf hatten Fachleute von Anfang an hingewiesen.
    Der holländische Meeresbiologe Rob Leewis beschäftigt sich ausschließlich mit der Biologie von Wracks in der Nordsee (alleine in englischen Hoheitsgewässern sind 143 000 Schiffswracks ausgewiesen). Leewis hatte schon 1996 berichtet, das biologisch produktivste Wrack, das er bei seinen Untersuchungen gefunden habe, sei eine eingestürzte Ölplattform. Ein befragter Fischer gab zu Protokoll: »Wenn ich näher an die Insel herandürfte, könnte ich mich in zwei Jahren zur Ruhe setzen, soviel Fisch ist dort.« 3
    Die Versenkung von Ölplattformen im Meer muß von Gesetzes wegen im Einzelfall auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden - dies wurde im Falle der »Brent Spar« sorgfältig getan. Das Versenken wäre eine absolut akzeptable Lösung gewesen, da es auf dem Grund des Nordatlantik keinen Schaden angerichtet hätte. Als gigantisches Symbol für die Wegwerfgesellschaft eignet sich die »Brent Spar« deshalb nicht.
    Dennoch wurde sie aufwendig an Land auseinandergenommen und zu einer Kaimauer verarbeitet. Auf den Stahlteilen fanden die Entsorger prompt Hunderte von Kilo der unter Naturschutz stehenden Korallenart Lophelia pertusa, die sich dort freudig angesiedelt hatte (die Bewahrung dieser Korallenart im Nordatlantik ist Greenpeace übrigens ein ganz besonderes Anliegen ...). In dem von Wissenschaftlern erstellten Abschlußbericht zur Entsorgung der Brent Spar heißt es: »Die Versenkung der Ölplattform wäre aus wissenschaftlicher Sicht die beste Lösung für die Umwelt gewesen.« Statt ursprünglich knapp 20 Millionen Mark hat die Aktion mindestens 120 Millionen Mark gekostet. Shell hat sich entschlossen, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, und hat einen 100 Millionen Mark teuren Kotau vor einem irrationalen Reinheitsgebot gemacht.
    Shell und Greenpeace hätten gemeinsame Größe beweisen können, indem sie das Geld statt dessen dort in die Umwelt investiert hätten, wo die Not am größten ist. An Shell-Standorten in bettelarmen Ländern hätte man beispielsweise Toiletten und Kläranlagen bauen können. Verseuchtes Wasser ist immer noch die häufigste Ursache für tödliche Krankheiten.
    Einer der Herausgeber des angesehenen Wissenschaftsmagazins »Nature« rügte das »seichte Verhältnis von Greenpeace zu wissenschaftlichen Argumenten« und kommentierte: »Die Shell-Entscheidung, die Ölplattform nicht zu versenken, ist ein unnötiger Abschied von der Rationalität.« 4 Es gibt auch zukünftig kein Patentrezept für die Entsorgung von Offshore-Anlagen, sondern für jedes Vorhaben muß einzeln überprüft werden, ob Verwerten, Versenken oder eine Kombination von beidem umweltverträglicher ist.
      
    1 Die Zeit vom 24.10. 1997. 2 ebd. 3 Wirtschaftsbild Nr. 19/1996. 4 Nature, Vol. 375, Seite 708.

»Klimaerwärmung läßt weltweit die Korallen absterben«
      
    Seit den achtziger Jahre geistert der »bleiche Tod« durch Meere und Medien.

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