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Lexikon der Oeko-Irrtuemer

Lexikon der Oeko-Irrtuemer

Titel: Lexikon der Oeko-Irrtuemer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk und Miersch Maxeiner
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doch wir können nichts Neues erschaffen. Selbst der glitzernde Glaspalast eines High-Tech-Konzerns ließe sich samt Inhalt in natürliche Bestandteile zerlegen. »Wir müssen lernen«, schreibt Böhme, »die natürliche Evolution als einen Prozeß zu verstehen, in dem auch die Entwicklung von Kultur und Technik einen bestimmten Schritt darstellt.« 2
    Tiere sind übrigens ebenfalls in der Lage, die Natur extrem zu verändern und »Technik« hervorzubringen. So zerkauen manche Wespen Holz und verwandeln es mit ihrem Speichel zu Papier, aus dem sie ihre kunstvollen Nester bauen.
    Wenn Menschen zum Schutz der Natur aufrufen, so meinen sie in der Regel die »grüne Natur«: Bäume, Blumen, Bienen, Bären. Doch auch in diesem Diskurs bleibt manchmal unklar, worum es eigentlich geht. Oft ist von »Naturgebieten« die Rede, gemeint sind aber Kulturlandschaften. So ist etwa die Lüneburger Heide für viele Menschen ein Naturgefilde. Doch die romantische Schäferlandschaft aus Heidekraut, Wacholder und Ginster wurde einst von Menschen geschaffen, die den Wald zerstörten, der dort vorher »ganz natürlich« gewachsen war.
    Normalerweise wird das Land mit Natur in Verbindung gebracht, die Stadt dagegen mit Technik und Zivilisation. Doch in den Städten leben mehr Tierarten als auf der Feldflur (siehe »In der Stadt gibt es keine Natur«). Äcker und Grünlandflächen werden heute häufig so überdüngt, daß nur wenige Arten diesen Nährstoffüberschuß bewältigen können. Viele Agrarlandschaften sind eintönig und lebensfeindlich. So weichen zahlreiche Tiere und auch Pflanzen in die Städte aus, wo sie es besser haben.
    Welche Natur soll bewahrt werden? Die Wildnis, die Agrarlandschaft des 19. Jahrhunderts, die heutige Landschaft? Darüber streiten sich die Naturschützer. Wenn nur das schützenswert ist, was sich ohne Zutun des Menschen von selbst entwickelt, müßten in Deutschland vorrangig Laubwälder bewahrt werden. Denn Buchenwälder bedeckten weite Flächen Mitteleuropas, bevor der Mensch mit Ackerbau und Viehzucht begann. Buchenbiotope sind jedoch recht artenarm.
    Oder soll der Zustand gepflegt werden, der die größte Artenvielfalt hervorgebracht hat? In Deutschland wären das beispielsweise Trockenrasenbiotope, die sich aber ohne Bewirtschaftung (etwa als Schafweiden) langfristig in Wälder verwandeln können.
      
    1 G. Böhme, Natürlich Natur, 1992. 2 ebd.

»In der Natur herrscht ein natürliches Gleichgewicht«
      
    Der Normalzustand der Natur ist nicht das Gleichgewicht, sondern die Pause zwischen zwei Katastrophen. Feuer, Frost, Fluten und Stürme wirbeln das Leben auf der Erde mit Macht durcheinander. Dazu kommen noch globale Desaster mit Langzeitwirkung, wie Eiszeiten oder gigantische Vulkanausbrüche, die für Dekaden den Himmel verdunkeln. Im Laufe der Evolution kam es fünfmal zu einem weltweiten Massensterben von Pflanzen und Tieren. 99 Prozent der Arten, die jemals auf der Erde gelebt haben, starben aus. 1
    »Die Natur ist eine Lotterie«, schreibt der amerikanische Wissenschaftsautor Stephen Budiansky. »Sie ist sogar noch schlimmer als eine Lotterie, denn die Lotteriegesellschaff kann jederzeit entscheiden, gar nichts auszuzahlen und alles für sich zu behalten.« 2
    Botaniker stellten fest, daß in manchen Bergwäldern Chiles das Kronendach von Nothofagus-Bäumen gebildet wird. Doch alle jüngeren Bäume darunter gehörten zu anderen Arten. Offenbar können sich Nothofagus-Samen nicht in Nothofagus-Wäldern entwickeln. Des Rätsels Lösung: Der Baum ist von Katastrophen abhängig. Nur wo Erdrutsche, Erdbeben oder Feuer die Vegetation zerstört haben, keimt Nothofagus. 3
    Bei einem ökologischen Experiment in New Hampshire stellte sich heraus, daß Kahlschlag die beste Methode ist, eine natürliche Verteilung der Baumarten in einem forstlich genutzten Wald zu erhalten. Das selektive Fällen einzelner Stämme veränderte über die Jahre die Zusammensetzung des Waldes. Der Kahlschlag jedoch entsprach einem natürlichen Ereignis: dem Waldbrand. 4
    Es gibt in der Natur nicht nur Kreisläufe, sondern auch Sackgassen. Eisenbakterien bilden rote, schwammige Beläge auf Gewässern. Die anderen Wasserlebewesen sterben dadurch größtenteils ab. Der von den Bakterien erzeugte Rost ist natürlicher Müll, der von keinem anderen Organismus recycelt werden kann. 5
    Tiere, wie etwa Lemminge, Feldmäuse, Wanderheuschrecken, Borkenkäfer oder Gespinstmotten, können sich explosionsartig vermehren, aber auch in

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