Lexikon der Oeko-Irrtuemer
stand. In Deutschland sind aufgrund der geringen Strahlenexposition bisher keine strahlenbiologischen Effekte bei Menschen, Tieren und Pflanzen beobachtet worden und auch in Zukunft nicht zu erwarten. 5
In den am stärksten kontaminierten Gebieten der Ukraine erkrankten in den Jahren 1988 bis 1993 insgesamt 15 Kinder an Leukämie, während statistisch - nach den Erfahrungen der vorangegangenen Jahre - 13 Fälle zu erwarten waren. 6 Unter den 152 000 Liquidatoren ist eine Erhöhung der Fälle ebenfalls bislang nicht wissenschaftlich dokumentiert. Es gibt aber mündliche Berichte, die von einer Verdoppelung der Leukämiefälle (52 statt 26 erwarteten) berichten. 7 Die Gefahr zusätzlicher Leukämieerkrankungen durch die fortdauernde Strahlenexposition, anderer Krebserkrankungen und möglicher Erbgutschäden bleibt bei den unmittelbar vom Unglück betroffenen Menschen aber weiterhin bestehen.
Die Ukraine zählt - im Gegensatz zu Rußland - zu den Todesursachen, die dem Reaktorunfall zuzurechnen sind, nicht nur die unmittelbare Strahlung, sondern auch Veränderungen der Lebensbedingungen wie zum Beispiel Streß. Unter Einbeziehung von Unfällen, Herzversagen oder Selbstmord nennen die Behörden eine Zahl von 2 500 Todesopfern. 8 Doch selbst unter Berücksichtigung großer Dunkelziffern bewegt sich die eingangs erwähnte Zahl von 125000 Tschernobyl-Toten fernab der Realität - sie gehört ausgemustert. Wer Atomenergie für gefährlich hält, dem liefert Tschernobyl auch mit der Wahrheit genügend Argumente.
1 B. Müller-Ulrich, Medienmärchen, 1996, und A. Keller, 10 Jahre nach Tschernobyl, Elektrizitätswirtschaft Nr. 17/18, 1995. 2 GSF-Forschungszentrum, Presseinformation, April 1996. 3 GSF-Forschungszentrum, Mensch + Umwelt, Dezember 1997. 4 Deutschlandradio, Landwirtschaft & Umwelt, 26. 3. 1995. 5 GSF-Forschungszentrum, Presseinformation, April 1996. 6 A. Keller, 10 Jahre nach Tschernobyl, Elektrizitätswirtschaft Nr. 17/18, 1995. 7 GSF-Forschungszentrum, Presseinformation, April 1996. 8 A. Keller, 10 Jahre nach Tschernobyl, Elektrizitätswirtschaft Nr. 17/18, 1995.
»Die Förderung der Atomenergie behindert die Einführung alternativer Energien«
Billiger (weil staatlich subventionierter) Atomstrom behindert nach Ansicht vieler Umweltschützer gleichsam durch unlautere Konkurrenz die technische Entwicklung und die Durchsetzung alternativer Formen der Energiegewinnung. Das Argument scheint zunächst aus zwei Gründen plausibel. Erstens: Die Atomenergie wurde in der Bundesrepublik seit 1956 vom Bund mit der stattlichen Summe von etwa 30 Milliarden Mark gefördert. 1 Zweitens: Energie ist so billig, daß sich die alternative Stromerzeugung oft wirtschaftlich noch nicht lohnt. »Ein Ausbau der Atomenergie dürfte die angebotsorientierten Strukturen unserer Energiewirtschaft stabilisieren«, schreibt beispielsweise das Umweltbundesamt 1997 in einer Studie und meint, diese seien »ein Haupthemmnis für die zur Erreichung des Klimaschutzzieles unabdingbaren Effizienzverbesserungen«.
Doch das Amt strickt hier an einer Legende mit, die kaum haltbar ist. So wird das Niveau der Energiepreise nicht von der Atomenergie bestimmt, sondern vom Erdölpreis. Und der ist - nicht zuletzt aufgrund weltweit erfolgreicher Sparmaßnahmen - sehr niedrig. Die großen künftigen Energieeinsparungspotentiale in der Bundesrepublik liegen zudem eher beim Individualverkehr und der Wohnraumheizung. In beiden Bereichen spielt der Strom - und damit die Atomenergie - nur eine Nebenrolle.
Auch auf den Sparwillen von Nationen hat die Atomenergie offenbar keinen negativen Einfluß. So zeigt sich, daß bekennende »Atomaussteiger« wie Dänemark, Österreich oder Schweden beim Sparen keineswegs mehr erreicht haben als die »Atomstaaten« Frankreich, Japan und Deutschland. So sank der Primärenergieverbrauch je 1000 Dollar Bruttoinlandsprodukt in diesen Ländern seit der ersten Ölkrise 1973 bis 1995 um folgende Werte: 2
Staaten mit Atomkraft:
Ersparnis
Deutschland (nur West)
- 31,0%
Japan
- 24,8 %
Frankreich
- 14,3 %
Atomkraft›Aussteiger
‹:
Ersparnis
Dänemark
- 31,1 %
Österreich
- 24,8 %
Schweden
-8,6%
Auch die genaue Betrachtung der Fördermittel ergibt ein differenzierteres Bild. In der Tat beträgt die Fördersumme für die Atomenergie (etwa 30 Milliarden Mark) von 1956 bis heute etwa das Vier- bis Fünffache der für erneuerbare Energien bereitgestellten Gelder (etwa 7,5 Milliarden Mark). Die regenerativen
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