Lexikon der Oeko-Irrtuemer
dürfen nicht geschädigt werden.« 3
1 GQ Magazine (USA), November 1993. 2 M. FLoss u.a. (Tierärztliche Hochschule Hannover), Vergleichende Untersuchung zweier Zutriebssysteme zur Elektrobetäubung beim Schwein, 1996. 3 Stern, Nr. 47/1995.
»Tierschutz ist ökologisch«
Tierschutz und Naturschutz werden im alltäglichen Sprachgebrauch und in den Medien immer wieder in einen Topf geworfen. Ganz zu unrecht: Denn beide Strömungen berufen sich auf unterschiedliche Weltanschauungen. Tierschützer und auch Tierrechtler sorgen sich um das Schicksal einzelner Geschöpfe. Wo nur das individuelle Tier zählt, sind ökologische Kategorien unwichtig, etwa die Frage, ob es zu einer häufigen oder zu einer bedrohten Art gehört. Entscheidend ist allein das Leid, welches ein Tier empfindet (siehe auch »Tiere brauchen Rechte«).
Naturschützer und Artenschützer (Artenschutz ist ein Teilgebiet des Naturschutzes) denken in anderen Kategorien. Sie kümmern sich um Ökosysteme, Lebensgemeinschaften und Arten. Einzelne Tiere spielen in ihrem Weltbild eine untergeordnete Rolle. Der amerikanische Tierrechtsphilosoph Tom Regan lehnt ökologisches Denken grundsätzlich ab und bezeichnet es als »Umweltfaschismus«.
Die unterschiedlichen Ansätze sind keineswegs rein philosophisch. Auch in der Praxis gibt es Streit zwischen den beiden Bewegungen. So lehnen viele Naturschützer das Füttern von Stadttauben und das Aufstellen von Vogelhäuschen im Winter ab. Diese Tierschutzpraxis, so argumentieren sie, bevorzuge häufige Vogelarten gegenüber den scheuen und seltenen, und verbreite obendrein Krankheiten, die wiederum auch die raren Arten befallen können.
Am heftigsten wird der Konflikt, wenn Naturschützer das Jagdgewehr in die Hand nehmen, um eine Tierart vor einer anderen zu schützen. Dazu muß man wissen, daß 21 Prozent der seit dem 17. Jahrhundert ausgerotteten Tierarten deshalb zugrunde gingen, weil Menschen Tiere aus anderen Kontinenten in ihrem Lebensraum aussetzten. 1 Diese Neuankömmlinge fraßen die alteingesessenen Arten auf oder vernichteten ihre Nahrungsgrundlage. Besonders auf Inseln hat sich das Einschleppen fremder Tierarten immer wieder als zerstörerisch erwiesen.
In Neuseeland und Australien beispielsweise haben Naturschützer alle Hände voll zu tun, um die importierten Tiere zu bekämpfen. Mit Flinten und Fallen machen sie Jagd auf Katzen, Füchse, Marder, Ratten und andere Tiere, die von den europäischen Siedlern eingeschleppt wurden. Damit zum Beispiel der seltene Eulenpapagei überleben kann, führen Naturschützer einen Ausrottungsfeldzug gegen eingeführte Säugetiere. Der Eulenpapagei hat sich im Laufe der Evolution daran gewöhnt, daß er keine Feinde hat, daher verfügt er über keine Strategie, um den europäischen Neulingen in Neuseeland zu entwischen. 70 Inseln vor der neuseeländischen Küste sind inzwischen wieder ratten-, marder- und katzenfrei. Eulenpapageien und andere bedrohte Arten wurden dorthin gebracht, weil sie auf dem Festland kaum Überlebenschancen haben.
Auch William Mautz vom amerikanischen Naturschutzverband »Sierra Club« wollte Naturschutz mit der Flinte betreiben. Mautz hatte herausgefunden, daß auf der San-Clemente-Insel 48 Tier- und Pflanzenarten verschwunden und weitere sechs gefährdet waren. Ziegen, die einst von Seefahrern als lebender Proviant ausgesetzt worden waren, zerstörten die Natur der Insel. Doch als Mautz und seine Naturschutzaktivisten zur Ziegenjagd ausrückten, stellten sich ihnen aufgebrachte Tierrechtler in den Weg, die die Ziegen retten wollten.
Die amerikanische Umweltjournalistin Margaret L. Knox beschrieb eine Fülle von ähnlichen Fällen. Naturschützer töteten die aus Südamerika importierten Nutrias im Mississippi-Delta, weil diese ein wertvolles Biotop zerstörten. Tierrechtler wollten die Nutrias retten. Wissenschaftler führten im Auftrag von Naturschützern Versuche an Truthahngeiern durch, die dem Schutz des seltenen Kalifornischen Kondors dienen sollten. Tierrechtler brachen in das Labor ein und befreiten die Geier. 2
1 V. Straaß, Spielregeln der Natur, 1990. 2 Buzzworm (USA), Nr. 3/1991.
Perspektiven
Der Tierschutzgedanke wird sich weiter durchsetzen. Die Zeiten, als Tiere wie Sachen behandelt und rücksichtslos ausgebeutet werden konnten, gehen (zumindest in wohlhabenden Industrieländern) ihrem Ende entgegen. Neue Erkenntnisse der Genetiker und Verhaltensforscher machen immer deutlicher, wie nahe sich
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