Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Regenwald ist nicht zu retten«
Eines ist sicher: Die tropischen Wälder schrumpfen. Sie werden schneller gerodet, als sie wieder nachwachsen können. Doch über Ausmaß und Geschwindigkeit dieses Waldverlustes streiten sich die Experten.
Die Regenwälder der Erde werden heute mit Satelliten überwacht. Brasilien betreibt allein zwei Raumflugkörper, um den Amazonasurwald zu kontrollieren. Dennoch klaffen die Zahlen über den existierenden Wald und das Ausmaß der Verluste weit auseinander. Es ist nämlich trotz Satellitenfotos schwierig, die Vegetation der großen tropischen Waldgebiete in Lateinamerika, Afrika und Südasien genau zu erfassen. Obendrein gibt es kein einheitliches System, um Regenwaldflächen und Waldverluste zu beschreiben.
Der Begriff »Tropenwald« umfaßt alle möglichen Waldarten und nicht nur Regenwälder. Regenwälder wiederum werden in saisonal feuchte Wälder und immerfeuchte Wälder eingeteilt. Und schließlich: Sollen nur unberührte Urwälder (Primärwälder) den Titel »Wald« tragen dürfen oder auch bewirtschaftete Wälder oder gar von Menschen gepflanzte Forste (die es in tropischen Ländern ebenfalls gibt)?
Zusätzlich ist umstritten, in welchem Zustand Wälder als zerstört gelten. Ist ein Regenwald bereits kaputt, wenn Holzfäller die alten Stämme herausgeschlagen haben? Viele Wissenschaftler halten diese Definition für unzutreffend, da auch ein Sekundärwald ein Regenwald bleibt, obwohl sich die Artenzusammensetzung der Pflanzen und Tiere ändert. Oder soll erst dann von Waldzerstörung die Rede sein, wenn Brände die gesamte Vegetation vernichtet haben? Und was ist mit den vielen Abstufungen, die dazwischen liegen?
»Die Zahlen über Entwaldung in den Tropen sind deshalb so unterschiedlich, weil diese Probleme ignoriert oder ganz verschieden angegangen wurden«, schreiben T. C. Whitmore und J. A. Sayer, beides Mitarbeiter der Weltnaturschutz-Union IUCN. 1 Ariel Lugo vom US-Institut für Tropenwald in Puerto Rico betont, daß die Hälfte des jährlich abgeholzten Tropenwaldes nicht als kahlgeschlagene Rodungsfläche, sondern als lebendiger Sekundärwald zurückbleibt. Obendrein würde die natürliche Regeneration und die Wiederaufforstung bei den Abschätzungen häufig vernachlässigt. 2
Beispiel Amazonasregion, das größte Regenwaldgebiet der Erde: Die Angaben über das Ausmaß des Urwaldes schwanken zwischen 380 und 420 Millionen Hektar. Die Zahlen über die mittlerweile vernichtete Waldfiäche variieren zwischen 25 und 60 Millionen Hektar. Die jährlichen Verluste in den achtziger Jahren werden mit 1,7 bis hin zu acht Millionen Hektar beziffert. 3
Die amerikanischen Wissenschaftler David Skole und Compton Tucker verarbeiteten Satellitenaufnahmen mit Hilfe eines Geo-Informationssystems zu genauen Computerkarten. Sie kamen für den Amazonasurwald auf Verlustraten, die noch unter den niedrigsten Annahmen lagen. Bis zum Jahre 1988 waren nach dieser Untersuchung 23 Millionen Hektar gerodet worden, zirka sechs Prozent des gesamten Urwaldgebietes. Den jährlichen Verlust beziffern sie mit 15 Millionen Hektar. Gleichzeitig wiesen die Forscher jedoch darauf hin, daß die Waldgebiete in der Nähe von Rodungsflächen oft erheblich gestört sind. 4
Immerhin existieren noch 80 bis 90 Prozent des Urwaldes am Amazonas. In Westeuropa steht nicht einmal mehr ein Prozent Urwald. Der österreichische Fernsehjournalist Hugo Portisch sagte nach einer Recherche in Brasilien: »Wir haben auf unsere Wälder nicht die geringste Rücksicht genommen, fordern das aber von den anderen.« 5
Im Frühjahr 1997 wartete die FAO mit neuen Zahlen auf. Sie besagen, daß der Raubbau in den neunziger Jahren ein wenig zurückgegangen ist. Von 1990 bis 1995 verloren die Entwicklungsländer jährlich 13,7 Millionen Hektar ursprüngliche Wälder, darunter 12,9 Millionen Hektar Regenwälder. Im Jahrzehnt zuvor lag die Verlustrate noch bei 15,5 Millionen Hektar pro Jahr. 6 Ob dies die erhoffte Trendwende ist, bleibt offen, denn - siehe oben - solche Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen.
Der FAO-Bericht stellt zwar fest, daß auch in den Entwicklungsländern das Bewußtsein für nachhaltige Forstwirtschaft gewachsen ist, doch noch immer seien zwei Milliarden Menschen beim Kochen und Heizen auf Holz und Holzkohle angewiesen. In westafrikanischen Ländern, wie Nigeria oder der Elfenbeinküste, wo bereits in den siebziger Jahren die Wälder großflächig gerodet wurden, sieht die Situation besonders
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