Lexikon der Oeko-Irrtuemer
ist widernatürlich“
»Die Gentechnik bringt Monster hervor“
»Genpflanzen auf dem Acker sind eine ökologische Gefahr“
»Gentechnisch veränderte Lebensmittel bedrohen die Gesundheit«
Perspektiven
Oft gehört, gern geglaubt
Eine sieben mal sieben Meter große, zähnefletschende Monster-Tomate kugelt durch Deutschland, aufgeblasen vom BUND und den neuform-Reformhäusern. Das Horrorgemüse ist Teil einer Angstkampagne gegen Gentechnik, die die Meinungshoheit zu diesem Thema erfolgreich erobert hat. Greenpeace erhob Ende 1996 den Kampf gegen Gen-Food zum Umweltthema Nummer eins und bewies damit wieder einmal sicheres Gespür für die Stimmung im Volk: Drei Viertel der Deutschen lehnen Gentech-Nahrung ab, ermittelte die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). 1
Mit grellen Farben wird das drohende Verderben ausgemalt: Auf dem Acker wächst ein »Super-Unkraut« 2 heran, das ganze Landstriche überwuchern wird. Im Supermarkt wird der Kunde zum Versuchskaninchen gemacht. Demnächst droht »das Hähnchen mit Nougatgeschmack« 3 . Sorgenvoll runzelt der Geschäftsführer des Demeter-Bundes die Stirn: »Gentechnik verändert die innere Qualität der Nahrungsmittel.« 4 Da möchte auch Feinschmecker Wolfram Siebeck nicht abseits stehen und fordert: »Nieder mit dem Technofraß!« 5
Zahlreiche Nahrungsmittelfirmen haben sich gegenüber Greenpeace verpflichtet, auf Gensoja zu verzichten. Doch die Gendetektive der Zeitschrift »Öko-Test« kamen ihnen auf die Schliche. Sie fanden Gentech-Lezithin in Nuß-Nougat-Cremes von Herstellern, die gentechnikfreie Ware zugesichert hatten. 6 Auch bei anderen Naschwaren wurden Genfahnder fündig. Prompt rief ein Konzern mehrere Hundert Tonnen seiner sündhaften Süßigkeiten zurück. 7 Fragt sich, ob das Lezithin aus genverändertem Soja der Gesundheit mehr geschadet hätte als genetisch unverdächtiger Zuckerkleister, der die Zähne attackiert.
1 Süddeutsche Zeitung vom 6. 2. 1997. 2 BUND-Presseinformation, 6. 3. 1996. 3 BUND-Argumente, Tomaten aus dem Designer-Studio, 1993. 4 Natur Nr. 9/1997. 5 Der Spiegel Nr. 15/1997. 6 Die Zeit vom 26. 9. 1997. 7 Der Spiegel Nr. 15/1997.
»Gentechnik ist widernatürlich«
Das Prinzip der Neukombination von Genen ist die natürlichste Sache der Welt. Immer wenn zwei Lebewesen Nachkommenschaft zeugen, vermischt sich ihr gesamtes Erbgut. Was dabei herauskommt, ist unvorhersehbar (Eltern können das bestätigen). Gentransfer und Mutationen sind die Triebfedern der Evolution. Sogar Bakterien, die sich nur durch Zellteilung (das heißt ohne Genvermischung) vermehren, können die DNS (Desoxyribonukleinsäure), also das Erbgut, toter Artgenossen in sich aufnehmen. 1 Unnatürlich ist es jedoch, wenn Menschen gezielt das Genom von Pflanzen und Tieren manipulieren, um aus ihrer Sicht die Natur zu verbessern. Das tun sie allerdings schon seit zirka 10000 Jahren. Seither versuchen Ackerbauern und Viehzüchter, durch gezielte Zuchtauswahl die Gene von Pflanzen und Tieren neu zu kombinieren. Sehr bald entdeckten die Menschen auch, daß Biotechnologie mit Mikroorganismen neue Möglichkeiten zur Veredelung von Lebensmitteln eröffnet: Sie züchteten Hefestämme und Bakterienkulturen, um Brot, Bier, Wein und Joghurt herzustellen.
Die Erfolge traditioneller Züchtung veränderten die ursprünglichen Wildformen oft bis zur Unkenntlichkeit. Der Wolf wurde vom Menschen zu Pekinesen, Möpsen und Bernhardinern verformt. Blumen-, Rot- und Rosenkohl, Brokkoli und Kohlrabi gab es nie in der Natur. Sie alle stammen von ein und derselben Wildform ab, die eher an Raps erinnert. Wäre Blumenkohl durch Gentechnik entstanden, würden die leckeren, weißen Röschen vermutlich als »Krebsgeschwür« verteufelt. 2 Mit herkömmlichen Züchtungsmethoden konnte sogar die Artgrenze zwischen Weizen und Roggen überwunden werden. Das Ergebnis ist ein Getreide namens Triticale. 3 Selbst wilde Pflanzen und Tiere halten sich nicht immer an Artgrenzen, wie sie im Biologiebuch definiert sind, und mixen schamlos ihr Erbgut durcheinander (siehe auch »Was sind eigentlich Arten?«). »Alles, was wir essen, wurde bereits seit Tausenden von Jahren genetisch manipuliert«, kommentierte das britische Wissenschaftsmagazin »New Scientist« die Diskussion um Gentechnik. »Sogar der Apfel, ein Symbol für Gesundheit, hat kaum noch etwas mit seinen wilden Ursprüngen zu tun.« 4
»Die Angst vor der Gentechnik«, schreibt der Ernährungswissenschaftler
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