Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Udo Pollmer, »beruht auf der irrigen Überzeugung, unser Getreide, Obst und Gemüse bestünde aus durchweg natürlichen Pflanzen, die jetzt auf unkontrollierbare Weise manipuliert würden. Über die bisherigen Veränderungen haben wir uns jedoch keine Gedanken gemacht. Wir haben die Produkte einfach freigesetzt und gegessen.« 5
Dabei ist es gerade ein großer Vorteil der neuen gentechnischen Verfahren, daß Veränderungen gezielter und kontrollierter vorgenommen werden können als bisher. Während früher wie wild drauflosgekreuzt wurde, um nachher zu schauen, was herausgekommen ist, können heute erwünschte Eigenschaften im Erbgut isoliert und dann von einer Pflanze auf die andere übertragen werden. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen durchlaufen toxikologische und allergologische Tests, Fütterungsversuche an Tieren und Eiweißanalysen. Gensoja ist die am intensivsten erforschte neue Pflanzensorte. »Müßten wir so aufwendig prüfen wie die Gentechniker, könnten wir unseren Laden dichtmachen«, gestand ein konventioneller Pflanzenzüchter dem »Spiegel«. 6
Die Methoden der herkömmlichen Zucht sind alles andere als sanft und natürlich. Seit den sechziger Jahren beschießt man die Pflanzen mit radioaktiven Strahlen oder setzt erbgutverändernde Chemikalien ein, um möglichst viele Mutationen hervorzurufen, unter denen sich vielleicht verwertbare Eigenschaften finden. 7 So entstand beispielsweise die Nektarine. 8 Mit Hilfe solcher Mutationszüchtungen wurden 1800 neue Pflanzensorten auf den Markt gebracht. 70 Prozent der Hartweizengräser für Nudeln in Italien sind künstlich erzeugte Mutanten, ebenso fast alle in Europa angebauten Gerstensorten für Bier. Sie alle tragen Gensequenzen in ihrem Erbgut, die so in der Natur nicht vorkommen. 9
1 Discover Nr. 6/1992. 2 Natur Nr. 9/1997. 3 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BMELF), Die grüne Gentechnik, 1997. 4 New Scientist vom 7. 3. 1998. 5 Natur Nr. 9/1997. 6 Der Spiegel Nr. 15/1997. 7 ebd. 8 BMELF, Die grüne Gentechnik, 1997. 9 Der Spiegel Nr. 15/1997.
»Die Gentechnik bringt Monster hervor«
Mit gentechnischen Methoden werden zumeist wenige Gene (manchmal nur ein einziges) von einem Lebewesen auf ein anderes übertragen. Höhere Pflanzen, zu denen alle unsere Kulturpflanzen zählen, besitzen etwa 25000 Gene, das menschliche Genom enthält mindestens 80000. Jedes davon ist ein Steuerungsimpuls, der präzise wirken muß. Die Gentechnik zielt darauf, einzelne dieser Steuerungseinheiten exakt zu lokalisieren und zu übertragen. Würde jeder genetische Transfer etwas völlig Neues hervorbringen, wäre man wieder auf der Stufe der zufälligen Mutation angelangt, den die Gentechniker gerade überwinden wollen. Die unverhoffte Geburt von Ungetümen, die sich aus dem Labor befreien und die Welt erobern, ist also eher unwahrscheinlich. »Ich halte es für falsch, bei den Leuten Panik zu schüren«, sagte Manuel Kiper, Molekularbiologe und forschungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. »Auf den Feldern wachsen keine Horrorpflanzen heran.« 1
Der Beweis, daß Menschen Ungeheuer schaffen können, wurde allerdings lange vor der ersten Genübertragung (sie fand 1973 statt) erbracht. Nicht teuflische Technik, sondern überspannter Ehrgeiz erschuf jämmerliche Geschöpfe mit deformiertem Knochenbau (wie etwa Perserkatzen) oder Tiere mit erblichen Verhaltensstörungen (zum Beispiel Kampfhunde). Und auch früher waren Züchter vor bösen Überraschungen nicht sicher. So entstand 1956 in Brasilien durch die Kreuzung europäischer Immen mit afrikanischen Wildbienen eine extrem aggressive neue Rasse, die sich seither von selbst ausbreitet und wegen ihrer Angriffslust als »Killerbiene« bezeichnet wird. 2 Die Chancen, daß Gentechnik solche Fehlschläge hervorbringt, sind wahrscheinlich geringer als bei der traditionellen Methode, die mehr dem Zufall überläßt.
Bei der Veränderung landwirtschaftlicher Nutztiere kamen die Forscher bisher langsamer voran als bei den Pflanzen. Schweine, denen man ein menschliches Wachstumsgen eingebaut hatte, damit sie schneller schlachtreif werden, litten unter körperlichen Schäden. Erfolgreicher waren die Wissenschaftler bei Fischen. In verschiedenen Ländern werden versuchsweise Speisefische (zum Beispiel Lachse) gezüchtet, die durch ein fremdes Wachstumsgen extrem schnellwüchsig sind.
Ende 1997 wurde bekannt, daß es Forschern in Europa und in den USA gelungen war, ein
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