Lexikon der Oeko-Irrtuemer
bessere Überlebenschancen haben. Die Säuglingssterblichkeit liegt vielerorts zwar immer noch viel zu hoch, insgesamt geht sie aber zurück. Grundsätzlich gilt: Je wohlhabender ein Land, desto gesünder die Menschen.
Doch wie kommt es, daß man immer wieder hört, es gebe mehr Kranke als früher? Dahinter steckt ein Paradox: Je besser und ausgereifter die medizinische Versorgung wird, desto mehr Behandlungsbedürftige gibt es. Ein Beispiel: Heute leben in Deutschland bei vergleichbarer Bevölkerung rund zehnmal mehr Zuckerkranke als zur Jahrhundertwende, aber nicht weil die moderne Medizin versagt hätte, sondern weil vor 70 Jahren das Insulin erfunden wurde. Ohne dieses Arzneimittel würden die Betroffenen früh sterben, und es gäbe weniger Zuckerkranke. Wer an Diabetes leidet und von Insulin abhängig ist, führt heute ein fast normales Leben, bleibt aber Patient bis an sein Lebensende.
Ein britisches Forschungsinstitut hat vor kurzem berechnet, wieviel wir heutzutage für Gesundheit aufwenden würden, wäre die Medizin auf dem Stand des Wissens zu Bismarcks Zeiten eingefroren worden. Es wäre ein Prozent (!) unserer jetzigen Gesamtrechnung, oder mit anderen Worten: 99 Prozent unserer heutigen Ausgaben für Gesundheit gehen auf das Konto von Gütern und Dienstleistungen, die wir vor 100 Jahren überhaupt noch nicht kannten. 3
1 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.11.1997. 2 Stiftung Entwicklung und Frieden, Globale Trends, 1997. 3 J. Dormann, Vortrag »Strukturwandel im weltweiten Pharmamarkt«, 17. 2. 1997.
»Wir sind stärker mit Schadstoffen belastet als unsere Eltern«
1856 starb der große deutsche Dichter Heinrich Heine in Paris im Alter von 59 Jahren. Eine moderne labortechnische Untersuchung einer Haarlocke des Dichters ergab: Verdacht auf Bleivergiftung. Heinrich Heine könnte das Blei über Wasser aus bleihaltigen Rohrleitungen oder aus dem Geschirr aufgenommen haben. Luft, Boden, Wasser und Wohnungen waren zu Urgroßvaters Zeiten häufig erheblich belasteter als heute. Wandfarben enthielten damals häufig Blei in Form von Bleiweiß.
Die Belastung der Luft mit Schwermetallen ging in der Bundesrepublik im Zeitraum von 1985 bis 1995 geradezu dramatisch zurück. Die vom Autoverkehr verursachten Bleiemissionen wurden nach Angaben des Umweltbundesamtes um 93 Prozent verringert, die aus den übrigen Quellen um 72 Prozent. Nickel (-63 Prozent), Chrom (-65 Prozent), Arsen (-85 Prozent), Quecksilber (-77 Prozent) und Cadmium (-76 Prozent) wurden ebenfalls in sehr viel geringerem Maße in die Luft gepustet. Bei der Untersuchung von Pflanzen und Tieren ist dieser abnehmende Trend bereits nicht mehr zu übersehen. Aber auch beim Menschen wurde erheblich weniger Blei im Blut oder Cadmium im Urin gefunden. 1 [Grafiken siehe unten]
Als guter Indikator für die Schadstoffbelastung der Menschen gilt die Muttermilch. Da sie Schadstoffe ebenso speichert wie das normale Körperfett, kann der Mediziner daraus Rückschlüsse auf die Belastung der Allgemeinbevölkerung ziehen. »Es besteht kein Grund, aus Angst vor Chemie in der Muttermilch zum Fläschchen zu greifen. Zwar gibt es immer noch Schadstoffe in der Muttermilch, aber die Belastung sinkt«, so heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung 2 des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) vom Dezember 1995. Nach Untersuchungen des Chemischen Landesuntersuchungsamtes in Münster geht nicht nur die Belastung mit Pestiziden, sondern auch die mit langlebigen Substanzen wie Dioxinen und Polychlorierten Biphenylen (PCBs) zurück. So sei die Dioxinbelastung in den letzten fünf Jahren um die Hälfte gesunken.
Betastung mit Schadstoffen
Die Belastung der Menschen mit bekannten Schadstoffen sinkt auf breiter Front. Während sich diese Grafik noch alleine auf die Entwicklung in Westdeutschtand bezieht, zeigt sich inzwischen auch in den neuen Bundesländern eine ähnliche Tendenz. (Quelle: Stern 1996 / Umweltprobenbank Münster)
Ähnliches fand das Landesuntersuchungsamt Südbayern heraus: Dort wurden 80 Prozent weniger Pestizide, 50 Prozent weniger PCBs und 30 Prozent weniger Dioxine gemessen. Die heutigen Mütter und Väter sind damit erheblich weniger belastet als noch die Generation ihrer Eltern. Fritz Vahrenholt, der Autor des Buches »Seveso ist überall« (erschienen 1978), bezeichnet das Dioxinproblem inzwischen als
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