Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Infertilität und Subfäkundität (ESIS)«. Es wurden mehr als 1500 Frauen in drei städtischen und drei ländlichen Bezirken in Deutschland befragt. Das Ergebnis: Gerade mal 2,2 Prozent aller befragten Frauen waren tatsächlich unfruchtbar, für beide Partner zusammen dürfte der Wert bei etwa sechs Prozent liegen.
Die Studie konnte auch die Ursachen für die bisher zu großen Zahlen klären. Der Gruppe wurden bislang auch die gewollt kinderlosen Ehepaare sowie enthaltsam lebende Frauen zugeschlagen. Auch Paare, die empfängnisverhütende Mittel verwendeten, fanden sich in der Statistik. Zudem wurde Unfruchtbarkeit schon dann angenommen, wenn bei Kinderwunsch nach einem Jahr noch keine Schwangerschaft eingetreten war. Tatsächlich dauert es aber in jedem fünften Fall länger als ein Jahr, bis eine Schwangerschaft eintritt. Auch die Befragung vermeintlich unfruchtbarer Paare auf der Warteliste für eine Fertilitätsbehandlung brachte eine Überraschung: Oft hatte sich der Nachwuchs schon vor Beginn der Therapie (fast) ganz von selbst eingestellt.
Die Analyse der Umwelteinflüsse zeigte vor allem einen statistisch signifikanten Faktor: Raucherinnen müssen länger auf eine Schwangerschaft warten als Nichtraucherinnen.
1 die tageszeitung vom 7. 8. 1995. 2 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. 8. 1995.
»Chemikalien verursachen ein Spermiensterben«
»Endlich! Dioxin verweiblicht Männer«, titelte 1994 die Berliner »taz«. »Du bist nur noch halb soviel Mann wie dein Vater« - mit diesem Plakat wurden im Juni 1995 die Teilnehmer der 4. Internationalen Konferenz zum Schutz der Nordsee im dänischen Esbjerg von Umweltschützern empfangen. Seitdem macht die Schlagzeile vom »Spermiensterben« die Runde. Einige Chemikalien stehen tatsächlich im Verdacht, das Hormonsystem von Menschen und Tieren zu beeinflussen und damit die Fortpflanzungsfähigkeit zu gefährden. Diese sogenannten endokrin wirksamen Substanzen kommen in Kunststoffen, in Schiffsanstrichen, aber auch in der Natur vor.
Was den Nachweis von Schädigungen angeht, steht die Wissenschaft zum großen Teil noch am Anfang. Nur bei Wasserlebewesen wurden bislang deutliche Veränderungen festgestellt. Hormonforscher, wie Professor Hermann Bolt, Leiter des Instituts für Arbeitshygiene an der Universität Dortmund, warnen jedoch davor, solche Beobachtungen ohne weiteres auf den Menschen zu übertragen. 1 Säuger - der Mensch eingeschlossen - können weibliche Hormone erheblich besser neutralisieren als Fische oder Reptilien. Hinzu kommt, daß Industriechemikalien oft vorschnell verdächtigt werden. Für Veränderungen, die bei Fischen im Mündungsgebiet von britischen Kläranlagen auftraten, wurden Stoffe aus anderen Quellen als Ursachen identifiziert: Es waren Östrogene aus den Ausscheidungen von Menschen (zum Beispiel die Abbauprodukte der Anti-Baby-Pille) und Tieren.
Die zur Zeit am häufigsten publizierte Hypothese ist die Herabsetzung der Spermienzahl des Mannes - sie soll in den letzten 20 bis 30 Jahren stark gesunken sein. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Es finden sich ebensoviele Studien, die einen Rückgang belegen, wie solche, die keinerlei Veränderung gefunden haben. Eine der jüngsten und aufwendigsten Spermienzählungen in den USA (1996) bescheinigt amerikanischen Männern eine in den letzten 25 Jahren unveränderte Spermienqualität. 2
Vor allem sind die Untersuchungen nicht untereinander vergleichbar: So scheinen Finnen aufgrund unterschiedlicher Lebensumstände eine höhere Spermiendichte zu haben als Engländer, New Yorker eine höhere Dichte als Kalifornier. Selbst die Jahreszeit, zu der eine Spermienprobe genommen wird, oder der bevorzugte Unterhosentyp wirkt sich auf die Spermiendichte aus. Liebhaber von legeren Boxershorts können mehr Spermien vorweisen als die Träger von hodenquetschenden Minislips - Spermien sind nämlich hitzeempfindlich. 3
Zu den starken regionalen oder durch Gewohnheiten bedingten Schwankungen kommen unterschiedliche Zählverfahren. Moderne computergestützte Zählungen führen zu niedrigeren Zahlen als die alten Analysen unter dem Mikroskop. Stichproben ergaben darüber hinaus, daß die gleichen Proben von verschiedenen Labors mit einer Abweichung von bis zu 70 (!) Prozent ausgezählt wurden. 4
Das niederländische Forschungsinstitut für Gesundheit und Umwelt prüfte 19 der bedeutendsten Spermauntersuchungen seit 1979 und kommt zu dem Schluß, Berichte, wonach sich die Qualität des
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