Lexikon der Oeko-Irrtuemer
kleines Element im Puzzle der schwierigen und lückenhaften Risikobewertung. Für sich allein genommen, sagen sie nur bei extrem starken Giften etwas aus. Viele künstliche und natürliche Stoffe, die mit dem Etikett »krebsverdächtig« versehen werden können, bedeuten für den Menschen keine über das normale Lebensrisiko hinausgehende Gefahr. Oder umgekehrt: Wollte man diese Stoffe komplett aus der Umwelt entfernen (was gar nicht geht), würde die Menschheit dadurch nicht gesünder.
1 Gesellschaft für Umweltrecht, Dokumentation zur 16. Tagung 1992. 2 Die Zeit vom 28. 2. 1997. 3 Die Zeit vom 3. 11. 1995.
»Formaldehyd löst Krebs aus«
Formaldehyd heißt auch Methanal und ist ein stechend riechendes Gas. 1 Für die Gesundheit gilt der toxische Stoff nicht gerade als zuträglich. Er kann bei unsachgemäßer Anwendung Allergien, Haut- oder Augenreizungen verursachen. Als Formalinlösung wird Formaldehyd zum Haltbarmachen von medizinischen und biologischen Präparaten eingesetzt. In der Industrie findet es beispielsweise Anwendung bei der Herstellung von Kunstharzen und Farbstoffen, bei der Textilveredelung und in Pharmaka.
Fomaldehyd kommt auch ganz normal in der Natur vor, beispielsweise in Äpfeln oder Weintrauben. Im menschlichen Körper wird Formaldehyd als normales Zwischenprodukt des Zellstoffwechsels in einer Menge von etwa 50 Gramm pro Tag gebildet. 2 Im Blut finden sich pro Liter zwei bis drei Milligramm Formaldehyd. 3 Beim Rauchen entsteht ebenfalls Formaldehyd und schwebt dann in nicht unerheblicher Konzentration durch den Raum.
Ins Gerede gekommen ist Formaldehyd in den achtziger Jahren vor allem im Zusammenhang mit der Herstellung von Spanplatten, aus denen häufig Reste des Gases ausgedünstet sind und Reizungen von Augen und Atemwegen hervorriefen. Um die Belastung der Raumluft zu vermeiden, sind inzwischen überall formaldehydfreie Spanplatten im Handel erhältlich.
Die Behauptung, Formaldehyd löse Krebs aus, basiert auf Tierversuchen aus den achtziger Jahren, bei denen man Ratten über Jahre hinweg Luft mit hohen Formaldehyd-Konzentrationen in die Nase blies. Auf Menschen übertragbar sind diese Ergebnisse nicht. Der Direktor des Heidelberger Krebsforschungsinstituts, Dietrich Schmähl, sah schon damals keinen Hinweis darauf, »daß die unter schweren Krebsverdacht gestellte Chemikalie bei Menschen bösartige Geschwulste erzeugt«. 4 (Siehe auch »Was heißt eigentlich ›krebsverdächtig‹?«, Seite 94.) Bei Chemiearbeitern, Pathologen oder Tierpräparatoren, die ihr Leben lang mit hohen Konzentrationen von Formaldehyd umgehen, wurde in zahlreichen epidemiologischen Untersuchungen kein erhöhtes Krebsrisiko festgestellt.
Inzwischen ist es um den Stoff wieder ruhig geworden. Formaldehyd muß in der EG auch von den Herstellern von Kosmetika oder Haarwaschmitteln deklariert werden - viele verzichten deshalb ganz darauf. Manchmal macht die Natur aber dennoch einen Strich durch die Rechnung. Dies fand kürzlich eine schwedische Untersuchung heraus. Ausgerechnet besonders hautfreundliche Tenside in Haarwaschmitteln bildeten in Verbindung mit Sauerstoff ganz von alleine Formaldehyd. 5 Der Anteil stieg mit jedem Tag, nachdem die Flasche geöffnet worden war. Deshalb wird ein Haltbarkeitsdatum für Kosmetika und Waschmittel diskutiert (ironischerweise dient Formaldehyd häufig als Konservierungsstoff, wird also zur Haltbarmachung zugesetzt - es hemmt die Vermehrung von Keimen). Fazit: Formaldehyd ist ein alltäglicher, aber gesundheitlich problematischer Stoff. Einen Krebsverdacht halten Mediziner jedoch nicht für schlüssig.
1 J. Emsley, Parfüm, Portwein, PVC, 1997. 2 0. Strubelt, Gifte in Natur und Umwelt, 1997. 3 H. Hug, Der tägliche Öko-Horror, 1997. 4 E. Wiedemann, Die deutschen Ängste, 1990. 5 die tageszeitung vom 15. 12. 1997.
»Chemie in der Nahrung bedroht unsere Gesundheit«
In der EU sind derzeit etwa 100000 Industriechemikalien erfaßt und 70000 im täglichen Gebrauch. 1 Die Stoffe befinden sich insgesamt in mehr als einer Million Rezepturen auf dem Markt. 2 Deren Eigenschaften sind teilweise bekannt, teilweise aber auch nicht. Ganz besonders wenig wissen wir über die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Substanzen. Deshalb ist es richtig, daß Chemikalien immer wieder überprüft und kontrolliert werden. Es ist auch richtig, daß Umweltschützer auf Risiken und Nebenwirkungen hinweisen. Chemiegefahren sind keine Phantomgefahren.
Dasselbe gilt
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