Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
daran, dass die Beobachter von Kugelblitzen nicht immer direkt vorher in einen Blitz sahen. Zudem ist nicht klar, woher die interessanten Geräusche und Gerüche stammen sollen, die manche Kugelblitze absondern. Trotzdem sind solche Hypothesen auch heute noch nicht tot, und so ist es immer noch nicht völlig abwegig, die Existenz des mysteriösen Feuerballs abzustreiten. Die Vielzahl der dokumentierten Beobachtungen sowie die wenigen Fotografien, die es mittlerweile von Kugelblitzen gibt, deuten jedoch ziemlich sicher darauf hin, dass wir es mit einem Phänomen außerhalb unseres Kopfs zu tun haben. Wirklich bewiesen ist die Existenz von Kugelblitzen aber wohl erst dann, wenn es gelingt, einen einzufangen, zu zähmen und auf Fachkonferenzen herumzuzeigen.
Die meisten Erklärungen des Phänomens beruhen heute auf der Annahme, dass der Feuerball aus Plasma besteht. Plasma bildet sich, wenn man Gase so lange aufheizt, bis die einzelnen Gasteilchen vor lauter Hitze verzweifelt damit anfangen, Elektronen von sich zu werfen. Die Sonne zum Beispiel besteht im Wesentlichen aus so einem elektrisch geladenen Gas. Plasma allein kann allerdings den Kugelblitz nicht erklären, unter anderem, weil die heiße, elektrisch geladene Luftblase nach oben aufsteigen sollte, was Kugelblitze selten tun. Zudem sollte ein Plasmaball nach Bruchteilen von Sekunden verlöschen, Kugelblitze dagegen leben deutlich länger. Die vom Kugelblitz abgestrahlte Energie kann demnach nicht allein aus dem Plasma stammen. Man braucht irgendeine zusätzliche Heizung, um langlebige, stabile Feuerbälle zu produzieren.
Diese Überlegungen führten über viele Zwischenstufen zu einem heute populären Modell, das mit sogenannten Aerosolen zu tun hat, also einer Ansammlung von schwebenden Teilchen: Im Jahr 2000 stellten die Neuseeländer John Abrahamson und James Dinniss eine Theorie vor, der zufolge Kugelblitze entstehen, wenn normale Blitze ins Erdreich einschlagen. Die hohe Energie des Blitzes heizt die Erde auf und wirbelt winzige Staubteilchen in die Luft, die durch chemische Prozesse zu einem komplizierten Netzwerk zusammenwachsen, einem flauschigen Erdball mit der Konsistenz einer Staubmaus. Dieses schwebende Geflecht umgibt und durchdringt die heiße Luftblase und bildet so den Kugelblitz. In diesem Szenario wird die Energie des normalen Blitzes im Staubball in chemischer Form gespeichert, ähnlich wie in einer Batterie. Langsam und allmählich glüht die Blase vor sich hin und setzt die Energie des Blitzes frei.
Der Aerosolansatz ist in der Kugelblitzforschung nicht neu, aber das von Abrahamson und Dinniss vorgelegte Modell kann zumindest in der Theorie viele Beobachtungen erklären. Im wahren Leben sieht es etwas anders aus. Die bisher besten Kugelblitzimitate auf der Basis von Aerosolen präsentierte im Januar 2007 ein brasilianisches Forscherteam um Antônio Pavão und Gerson Paiva. Sie stellten Siliziumscheiben zwischen zwei Elektroden, verdampften Teile des Siliziums und sorgten anschließend für einen künstlichen Blitz zwischen den Elektroden. Das Resultat: Leuchterscheinungen, die in Farbe und Lebensdauer echten Kugelblitzen ähneln, auch wenn sie noch etwas klein und unscheinbar ausfallen. Ob es sich dabei wirklich um die ersten künstlich erzeugten Kugelblitze handelt, wäre noch zu klären.
Andere Experten beschreiben das Phänomen als Folge von elektrischen Entladungen über Wasseroberflächen. Im Gegensatz zur Aerosoltheorie schlägt der Blitz in diesem Fall nicht in den Erdboden ein, sondern in einen See, ein Gefäß mit Wasser oder auch eine Pfütze, wie sie im Zusammenhang mit Gewittern recht häufig vorkommen. Eine Arbeitsgruppe in St. Petersburg im Jahr 2002 konnte auf diese Weise im Labor eine Art Kugelblitze herstellen. Vier Jahre später gelang es deutschen Wissenschaftlern um den Plasmaphysiker Gerd Fußmann, dieses Ergebnis zu reproduzieren: Mit Hilfe von Hochspannungsentladungen in salzhaltigem Wasser – eine ziemlich realitätsnahe Anordnung – erzeugten sie Leuchtbälle von immerhin 10 – 20 Zentimeter Durchmesser, deutlich größer als die Aerosolbälle aus Brasilien. Dafür wiederum überleben die künstlichen Kugelblitze von Fußmann nur Bruchteile einer Sekunde, eindeutig zu kurz, um mit den echten Exemplaren mithalten zu können.
Die dritte wichtige Theorie in der modernen Kugelblitzforschung wurde bereits in den 1950er Jahren von dem sowjetischen Physiker Pjotr Kapitza vorgeschlagen. Auch sie beruht auf der
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