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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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eine russische Datenbank enthält allein etwa 10 000 Vorfälle aus den letzten Jahrzehnten. Trotzdem handelt es sich wohl um ein seltenes Phänomen. Nur wenige Menschen dürfen das wundersame Ding jemals selbst erleben. Der Journalist Graham K. Hubler beschreibt ein typisches Ereignis: «Ich saß mit meiner Freundin in einem Pavillon in einem New Yorker Park. Es regnete ziemlich stark. Ein gelblich weißer Ball, etwa von der Größe eines Tennisballs, erschien links von uns, ungefähr 30 Meter entfernt. Der Ball schwebte zweieinhalb Meter über dem Erdboden und bewegte sich langsam in Richtung Pavillon. Als der Ball den Pavillon erreichte, fiel er plötzlich zu Boden und kam in etwa einem Meter Entfernung an unseren Köpfen vorbei. Er glitt über den Boden, verließ den Pavillon, stieg zwei Meter nach oben, bewegte sich zehn Meter weiter, fiel wieder zu Boden und verschwand ohne Explosion.»
    So oder ähnlich lesen sich viele Berichte. Aus der Vielzahl der Beschreibungen, einige sehr präzise und ausführlich, andere eher konfus, entsteht ein nur teilweise konsistentes Bild der Eigenschaften von Kugelblitzen, das die Grundlage für alle Erklärungsversuche darstellt: Die meisten Kugelblitze werden in Gewittern beobachtet, allerdings nicht alle. Oft, aber nicht immer, geht ihnen ein sichtbarer, normaler Blitz voraus. Vielfach erscheint die Kugel einige Meter über dem Erdboden, manchmal auch direkt am Boden, seltener fällt sie scheinbar vom Himmel. Der Durchmesser der Kugel liegt irgendwo zwischen ein paar Zentimetern und einem Meter, typisch ist ungefähr die Größe eines Fußballs. Die meisten Kugelblitze sind gelb, weiß oder rötlich, die Helligkeit entspricht in etwa der einer schwachen Glühbirne. In Größe und Leuchterscheinung ähneln sie einem Kinderlampion, nur ohne aufgemaltes Gesicht. Manche Kugelblitze schweben, andere fallen nach unten. Sie können zischen, nach Schwefel stinken oder Wasser zum Sieden bringen. Ab und zu springen sie am Boden auf und ab wie ein Gummiball. Meist lösen sich Kugelblitze nach wenigen Sekunden auf, manchmal aber auch erst nach etwa einer Minute. Einige von ihnen fühlen sich kalt an, andere sehr heiß. Mehreren Beobachtungen zufolge dringen sie scheinbar ungehindert durch Wände oder Glasscheiben, ein schwieriges Kunststück, das eine besondere Herausforderung für jede Theorie darstellt. So drang im Jahr 1638 ein Kugelblitz in eine Kirche in der englischen Grafschaft Devon ein, vier Menschen starben, sechzig wurden verletzt. Selten benimmt sich ein Kugelblitz derart ungehörig, meist erscheint er ruhig und bedächtig und verschwindet friedlich, obwohl auch extrovertierte Exemplare mit Funkenflug und kleineren Explosionen beobachtet wurden. Offenbar entstehen sie zwar meist im Freien, manchmal aber auch in geschlossenen Räumen. Einige erscheinen gar in U-Booten und Flugzeugen. Ein Horrorszenario: In einer stürmischen Gewitternacht im Flugzeug taucht auf dem Nachbarsitz ein schwebender, leuchtender Ball auf – niemandem kann man es übelnehmen, wenn er in einer solchen Situation die Vernunft über Bord wirft und anfängt, an Seltsames zu glauben. Kaum verwunderlich also, dass man Kugelblitze bis vor etwa hundert Jahren prinzipiell für eine übernatürliche Erscheinung hielt.
    Die im letzten Jahrhundert angesammelten Erklärungsversuche lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Kugelblitze sind entweder ein seltenes Phänomen in der Erdatmosphäre oder etwas vollkommen Absurdes oder es gibt sie gar nicht. Bei der letztgenannten Variante wird die Entstehung des Kugelblitzes einfach ins Auge oder Hirn des Beobachters verlegt – der Kugelblitz wird so zur optischen Täuschung oder, noch einen Schritt weiter, zur Wahnvorstellung. Dies ist durchaus eine legitime Möglichkeit, das Problem zu lösen: Wenn man eine Wahrnehmung nicht verstehen kann, ist vielleicht die Wahrnehmung an sich falsch. Wir «sehen» ja auch bewegte Bilder, sogenannte Filme, obwohl sich in Wirklichkeit gar nichts bewegt und es sich lediglich um eine Vielzahl unbewegter Einzelbilder handelt.
    Bis in die 1970er Jahre hinein wurden seriöse Gedankengebäude entwickelt, bei denen im Hirn eine kugelblitzartige Leuchterscheinung entsteht, beispielsweise infolge eines «Nachglühens» der Netzhaut nach Beobachtung von echten Blitzen. Jedoch sind alle diese Modelle problematisch; keines kann die umfangreichen Beobachtungsfunde einwandfrei erklären. Die Theorie mit dem «Nachglühen» krankt zum Beispiel

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