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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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Tausendfüßler, die normalerweise in den oberen Erdschichten wohnen und sich von abgestorbenem Pflanzenmaterial ernähren, in trockener Umgebung eingehen. Aber warum sollten sie dann in extrem trockene moderne Häuser flüchten? Hugh Scott jedenfalls bemerkte keinen Zusammenhang mit der Feuchtigkeit, wohl aber mit der Temperatur. Seine Tausendfüßler kamen vorwiegend in kalten Nächten, allerdings nicht, wenn es zu kalt war, dann machte kein Myriapode einen Schritt hinter die Tür. Andere Experten berichten von vermehrtem Auftreten besonders an heißen Tagen. Und überhaupt hat fast jede Erklärung Schwierigkeiten mit der scheinbaren Willkür, mit der sich die Tausendfüßler ihre Wandertage und -ziele aussuchen.
    Ein englischer Biologe namens John Cloudsley-Thompson, der in den 1950er Jahren eine Monographie über Spinnen, Tausendfüßler und Kellerasseln publizierte, sah eine Parallele zum massenhaften Auftreten von Insekten, Heuschreckenschwärmen zum Beispiel: Zunächst kommt es zu enormer Vermehrung durch günstige Umstände, dann aber wird die Welt schlechter für die Tiere, und sie ziehen notgedrungen durchs Land, ungefähr wie in der Völkerwanderung. Um das im Falle der Tausendfüßler genauer zu untersuchen, müsste man, so wie Hugh Scott, an ein und demselben Ort über eine lange Zeit systematisch beobachten, unter welchen Bedingungen die Tiere anfangen, sich seltsam zu verhalten. Man braucht willige Zeitgenossen, die bereit sind, ihre Häuser jedes Jahr ein paar Wochen mit ein paar hundert Tausendfüßlern zu teilen. Das kann ja wohl nicht so schwer sein.
    In Röns in Vorarlberg jedenfalls denkt man offenbar anders. Ein erster Versuch, die Plage mit Hilfe von Raubmilben einzudämmen, die die Eier der Tausendfüßler fressen, verlief nach anfänglichen Erfolgen im Sande. Seit Herbst 2006 setzt Klaus Zimmermann ein neues Mittel ein: Diatomeenerde, ein ungiftiges Pulver aus fossilen Pflanzenresten, dessen feine Kristalle sich in die Gelenke der Chitinpanzer hineinbohren und die Wachsschicht des Chitins durchscheuern. Derart behandelt, zerbröselten viele hundert Tausendfüßler ohne jeden weiteren Widerstand und nahmen das Wissen über den Grund für ihre Wanderung mit in den Tod.

Tiergrößen
Da sprach das Kalb
zur Kuh:
ich bin halb
so groß wie du.
Ich reich dir bis zum Euter
und nicht weiter
Arnold Hau
    Manche Tiere haben Hörner und Bärte, andere haben Flossen, Flügel, Tentakel, haarige Beine oder nichts davon, aber eins haben alle Tiere: eine Körpergröße. Und weil die sich sogar bei toten, ja selbst versteinerten Tieren leicht messen und mit der anderer Tiere vergleichen lässt, ist sie ein oft und gern untersuchtes Thema. Einiges hat man dabei herausgefunden: Zum Beispiel sterben kleinere Tiere früher, produzieren schneller zahlreichere Nachkommen und essen – relativ zu ihrer Größe – mehr als große Tiere. Und es gibt viel mehr kleine Tierarten als große: Betrachtet man etwa die Landsäuger, so wiegen 75 Prozent von ihnen weniger als ein Kilogramm.
    Eine grundlegende Schwierigkeit ist, dass man beim Durchzählen und Vermessen der Tierwelt bislang viele Tierarten übersehen hat. Derzeit sind etwa 1,5 Millionen Tier- und Pflanzenarten bekannt und beschrieben, und nach vollbrachter Kartierung könnte man mit 5 Millionen dastehen oder aber, wie manche meinen, auch mit 50 Millionen. Diese 3,5 bis 48,5 Millionen unentdeckten Arten sind nicht alle winzig klein; jedes Jahr stecken ein paar neue große Säugetiere ihren Kopf aus dem Busch und verblüffen die Biologen. Das mit bloßem Auge gut sichtbare Vietnamesische Waldrind beispielsweise wurde 1993 erstmals beschrieben. Kleine Arten werden aber aus verschiedenen Gründen später aufgefunden als große: Erstens wollten die frühen Tierforscher vor allem große, auffällige Tiere entdecken, die ausgestopft den Neid der Nachbarn erwecken. Zweitens haben große Tiere größere Reviere, sodass man leichter über sie stolpert. Und drittens braucht man bessere, modernere Techniken, um kleine Tiere nicht mit ihren nahen Verwandten zu verwechseln, denn bei kleinen Tieren unterscheiden sich die Arten weniger stark voneinander. (Eine Art zeichnet sich, so eine gängige Definition, dadurch aus, dass ihre Angehörigen sich nicht mehr erfolgreich mit denen der Nachbararten fortpflanzen können.) Das alles bedeutet, dass es vermutlich nicht nur mehr , sondern viel mehr kleine Tierarten als große gibt.
    Im Laufe des jahrzehntelangen Tiervermessens wurden

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