Liberator
es mit Ihnen bergab geht.«
»Ich gehe doch nicht bergab!«
Mr. Gibber sprach zu Col und Septimus. »Ein Bein im Grab. Pfeift auf dem letzten Loch. Ich muss ihn aufsetzen, sein Kissen aufschütteln und ihm sein tägliches Glas Milch bringen. Ich«, Mr. Gibber schien hocherfreut, »ein angestellter Lehrer! Wie erniedrigend für ihn!«
Col hatte genug von der Unterhaltung mit Mr. Gibber.
»Hier haben Sie Ihren Murgatrudd«, sagte er und beugte sich nach vorn. Mr. Gibber nahm das Tier allerdings nicht aus Cols Armen, sondern bückte sich und holte unter dem Schreibtisch einen Papierkorb hervor. Col legte Murgatrudd dort hinein.
»So, wir machen uns jetzt auf den Weg«, sagte er.
Als sie den Raum verließen, rief Mr. Gibber ihnen nach: »Und wie geht es euch beiden? Kommt ihr zurecht?« Dann lächelte er Septimus zu. »Für einen Schufter kommst du ja sehr gut zurecht, wie ich gehört habe. Lebst mit den Porpentines in der Norfolk-Bibliothek.«
»Als Gleicher unter Gleichen«, gab Septimus schlagfertig zurück.
»Natürlich.« Mr. Gibbers Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse. »Du bist gleich. Ich bin gleich. Er ist gleich. Alle Protzer zusammen sind gleich. Gleich minderwertig für unsere neuen Herren. Oben oder unten, Porpentines oder Trants – sie verachten jeden von uns auf die gleiche Weise!«
Col hatte noch nie gewusst, wie er auf Mr. Gibber reagieren sollte. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Nichts. Überhaupt nichts. Wieso sollte ich etwas sagen wollen? Ich habe schon so oft Unrecht gehabt. All meine Lektionen kann man in die Tonne treten. Niemand will meine Sicht der Dinge hören.« Er klatschte in die Hände. »Oder wissen Sie jemanden, der meine Sicht der Dinge hören will, Dr. Blessamy?«
»Was? Bin ich wieder eingeschlafen?«
»Siehst du. Er interessiert sich einen Dreck für meine Ansichten.«
»Unsere Situation hat sich nach der Befreiung nicht so gut entwickelt, wie wir gehofft hatten«, sagte Col langsam, »aber immer noch besser als die Tyrannei des alten Regimes.«
»Wenn das deine Meinung ist. Sicher. Sicher. Optimismus! Du wirst all deinen Optimismus zusammenkratzen müssen, nach dem, was sich zwischen dem Gouverneur und Victoria zugetragen hat.«
»Sie wissen davon?«
»Nur Gerüchte.« Mr. Gibber leckte seine wulstigen Lippen. »Was werden die Dreckigen als nächstes unternehmen?«
»Ich weiß es nicht. Haben Sie darüber auch Gerüchte gehört?«
»Ach, was sollte ich schon gehört haben? Ich bin doch nur euer untertänigster Mr. Gibber.«
Col fragte sich, welche Gerüchte Mr. Gibber gehört haben mochte, denn der grinste unverhohlen. Aber ihm die Wahrheit zu entlocken wäre mühsamer gewesen, als es die Sache wert war. Mit einem Nicken zu Septimus drehte sich Col auf dem Absatz um und eilte zur Tür hinaus.
15
Zwei Tage später hatte sich der Liberator noch immer nicht von der Stelle bewegt. Keine Vibration der Turbinen, kein Rollen der Walzen war zu spüren. Col besuchte die anderen Ghettos, doch auch dort wusste keiner, wie es weitergehen sollte. Am Abend des zweiten Tages beschloss er, Kontakt zu Riff zu suchen. Es musste ein Gespräch in aller Öffentlichkeit sein, aber vielleicht konnten sie dabei ein privates Treffen verabreden. Seine beste Chance, sie zu treffen, war auf der Brücke.
Er nahm, um unangenehme Begegnungen zu vermeiden, eine selten genutzte Treppe. Die paar Dreckigen, auf die er dort traf, waren offensichtlich mit ihren Gedanken woanders. Er kam unbehelligt bis zur letzten Treppe, die zur Brücke führte. An deren Fußende standen zwei Dreckige, die die rote Armbinde von Shivs neuer Sicherheitstruppe trugen. Seit wann ließ Shiv den Aufgang zu Brücke bewachen? Jedenfalls war es zu spät, um umzudrehen.
Er machte ein selbstbewusstes Gesicht und sprach die beiden direkt an: »Ich muss Riff sprechen.«
Sie taxierten ihn. »Ach was?« – »Ist sie auf der Brücke?«
»Nee. Nur Gansy und Dunga.«
Dunga war ihm von allen am meisten gewogen.
»Dann spreche ich mit Dunga.«
»Nee.«
Col begriff gar nicht, dass ihm der Durchlass verweigert worden war, bis ein ausgestreckter Arm ihn am Weitergehen hinderte. »Du kannst mit niemandem sprechen.« Die zwei Rotarmbinden brachen in lautes Gelächter aus. »Halt dich an deine eigenen Leute, Protzer !«
Col beherrschte sich und ging zurück. Er hätte ihnen sagen können, dass er ein Ratgeber des Revolutionsrates war, aber ihm war klar geworden, dass das keinen Unterschied gemacht hätte. Wie sollte er
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