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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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ihm, und er fing mich auf. Dann legte er mich um seinen Hals und kletterte sofort wieder nach oben. Und schon kamen die ersten Dampfstöße.«
    Es folgte eine lange Stille. Riff kannte die Dampfstöße, Col kannte sie auch. Die Offiziere des alten Regimes hatten mit ihnen die Dreckigen gequält und auf Trab gehalten.
    »Sie schossen auf uns zu und verbrühten seine Brust, seinen Bauch und seine Beine«, fuhr Lye fort. »Mich hielt er aus dem Weg, aber er selbst konnte sich nicht vor ihnen schützen. Pa schrie vor Schmerz, aber er kletterte immer weiter, bis er drei Viertel der Leiter geschafft hatte. Dann konnte er nicht mehr. Er hielt sich nur noch mit einem Arm fest, mit dem anderen hob er mich hoch und warf mich auf die Plattform über uns. Dann stürzte er in die Tiefe.«
    »Tot?«
    »Natürlich. Das alles hat nur ein paar Sekunden gedauert. Ich hab ihn sterben sehen, aber nicht meine Mam. Sie haben mir später erzählt, dass sie immer weiter runter rutschte, bis sie ins Getriebe kam. Zermalmt. Ihr Leben für meins.«
    Lyes Stimme zitterte, aber sie hatte keine Tränen in den Augen. Ihr Gesicht war reglos, ihre Züge hagerer denn je.
    »Ich hab meine Mam und meinen Pa auch verloren«, sagte Riff, »sie sind am Schweinehaken hochgezogen worden, damit Gesindlinge aus ihnen gemacht werden konnten.«
    Col musste diese neue Information erst einmal verdauen. Riff hatte ihre Eltern in all ihren Gesprächen niemals erwähnt.
    Lye erzählte weiter.
    »Es war ein unnützer Deal, den sie gemacht hatten, denn mein Leben war eigentlich nix mehr wert. Was auch immer mit meiner Wirbelsäule passiert war, es war jedenfalls die Hölle, grade zu stehen; die Schmerzen waren nicht auszuhalten. Ich gewöhnte mich also mit der Zeit daran, krumm zu gehen.«
    Ihre Stimme zitterte nicht mehr, jetzt klang sie hart und nüchtern. »Ich hätte nie überleben sollen.«
    »Es is wirklich ein Wunder, dass du überlebt hast.«
    »O ja. Ich habe mich ja auch darauf konzentriert. Ich hab mir beigebracht, Dinge auf andere Art zu machen. Oder andere Dinge zu machen als die anderen. Ich habe Botengänge gemacht, Nachrichten weitergetragen, jeden Job angenommen, für den man keinen geraden Rücken brauchte. Ich hab nie erwartet, dass sich jemand um mich kümmert.«
    Col wusste, warum ihr Überleben ein echtes Wunder war. Vor der Befreiung war es Unten zwischen den Kesseln und Turbinen so gefährlich, dass kaum einer der Dreckigen älter als dreißig Jahre wurde. Es war eine Welt, in der jede Schwäche bestraft wurde und in der Mitgefühl einen unerschwinglichen Luxus darstellte.
    »Aber wie kommt’s, dass du kein Krüppel mehr bist?«, fragte Riff.
    »Eins nach dem anderen. Die ganze Zeit war mein Leben nicht lebenswert. Ich hatte eigentlich nichts, wofür es sich gelohnt hätte weiterzuleben; aber trotzdem war ich entschlossen, nicht zu sterben. Meine einzige schöne Zeit waren die kurzen Minuten vor dem Einschlafen, denn da erzählte ich mir selbst die Gutenachtgeschichten, die Mam mir früher erzählt hatte.«
    »Die von Arrod.«
    »Ja, meistens die von Arrod. Er war gebrochen wie ich, nur hundertmal schlimmer, aber trotzdem weigerte er sich zu sterben. Aber er hatte ein Ziel. Ich hatte kein Ziel. Bis du zu uns zurückgekommen bist. Jeder wusste, dass der Haken dich erwischt hatte und dass du für immer verloren warst – aber plötzlich warst du wieder da. Ich war die erste, die dich gesehen und alle zusammengerufen hat.«
    »Ich sollte mich doch an dich erinnern können …«, sagte Riff
    Lye schüttelte den Kopf. »Ich war ein Nichts. Ich wollte nicht einmal bemerkt werden. Es war nicht nur mein krummer Rücken, ich hab mich auch mit Dreck beschmiert.«
    »Wir waren doch alle dreckig.«
    »Ja, aber ich hab mich absichtlich mit Dreck beschmiert.«
    »Auch dein wunderschönes Haar?«
    »Ich fand mein Haar nie wunderschön. Find ich immer noch nicht. Aber du, du warst wunderschön. Wenn du zu uns gesprochen hast, wenn du uns erzählt hast, was du Oben gelernt hast … deine präzisen Informationen. Du warst … ich kann’s gar nicht in Worte fassen.«
    Riff ging einfach über das Lob hinweg. »Ich war genau wie immer.«
    »Nein, warst du nicht. Du bist unser Symbol der Hoffnung gewesen. Du hast uns erzählt, dass die Protzer nutzlos sind und nichts auf die Reihe kriegen. Du hast uns erzählt, dass die Zeit reif ist für die Revolution. Du hast uns überzeugt, dass wir das schaffen könnten. Dass wir das schaffen würden .«
    »Wir hatten doch

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