Liberator
schon seit langer Zeit von der Revolution gesprochen.«
»Gesprochen, ja. Aber mehr nicht. Es war wie ein Traum von Gerechtigkeit, der niemals in Erfüllung gehen würde. Aber als du davon gesprochen hast, du warst schließlich dagewesen … Ich bin dir überallhin gefolgt, hab jede von deinen Ansprachen gehört.«
Jetzt wusste Col also, was Riff getan hatte, nachdem er sie die Schütte hinabgelassen hatte. Während er sich in Dr. Blessamys Akademie mit Mr. Gibber und den Squellingham-Zwillingen herumschlug, probte Riff die Revolution. Er wusste eigentlich nichts über ihr Leben Unten. Lye und Riff wiederum konnten ihre Erfahrungen miteinander teilen. Davon war er ganz und gar und für immer ausgeschlossen.
Lye fing wieder an. »Du hast mir den Glauben an mich selbst gegeben. Du hast mich dazu gebracht, mein Leben in einem anderen Licht zu betrachten. Ich hatte immer nur über lebt, leben war einfach nur die Gewohnheit weiterzumachen. Aber plötzlich verstand ich, dass mein Leben ziemlich unwichtig war. Ich brauchte es nicht. Es machte mir keinen Spaß. Es kam aber darauf an, was ich daraus machte, deshalb hab ich es der Revolution gewidmet. Unserer Sache. Der Gerechtigkeit.«
»Also warst du doch beim Kampf dabei?«, fragte Riff.
»Natürlich. Ich bin dir zum Waffenarsenal gefolgt. Aber du hast mich nicht in deine Gruppe gewählt. Also blieb ich bei Shiv und kämpfte mit ihm.«
»Ach so. Da ist Shiv dann auf dich aufmerksam geworden, als du den Offizier getötet hast?«
Lye gab einen barschen Laut von sich, der vielleicht ein Lachen sein sollte. »Ich hätt ein Dutzend Offiziere töten können, trotzdem hätte er keine Notiz von mir genommen. Ich hab erst Eindruck auf ihn gemacht, als ich grade stehen konnte.«
»Was ist denn mit deiner Wirbelsäule passiert?«
»Nichts. Nur das hier.«
Lye hob ihr locker sitzendes schwarzes Hemd hoch. Sie starrte Riff an, und Riff starrte sie an. Col konnte nicht widerstehen und hob seinen Kopf ein Stück über das Regal hinaus, um besser sehen zu können.
»Was is das denn?« Riff schnappte nach Luft.
»Ein Oberdeck-Korsett. Ich hab es in einer der Protzer-Kabinen gefunden.«
Col hatte noch nie ein Korsett gesehen, aber er wusste natürlich, dass es welche gab. Seine Großmutter Ebnolia hatte immer ein sehr festes Korsett getragen, um ihre Wespentaille zur Geltung zu bringen. Lyes Korsett war ein furchteinflößendes Ding aus senkrecht vernähtem Fischbein, dessen Enden auf dem Rücken verschnürt waren.
»Es hält mich so grade, dass mein Rücken sich nicht verbiegen kann«, erklärte Lye.
»Und du trägst es dauernd?«
»Jede Sekunde des Tages.«
»Und es nimmt dir die Schmerzen?«
»Nö. Wie kommst du denn da drauf?« – »Aber …«
»Die Schmerzen machen mir nichts aus. Wenn ich die Schmerzen vermeiden wollte, müsste ich krumm bleiben.« Lye ließ ihr Hemd wieder fallen. »Aber so kann ich was aus meinem Leben machen. Ich will nicht gekrümmt wie ein Wurm leben. Ich will was bewirken in meinem Leben.« Ihre Stimme hörte sich leidenschaftlich und unerbittlich an. »Und bemitleide mich ja nicht!«
Es folgte eine lange Stille. Dann spitzte Riff ihre Lippen. »Hmm. Also Shiv hat dich erst bemerkt, als du das Korsett getragen hast?«
»Und mich gewaschen und mein Haar gekämmt hab. Von da an nahmen auch andere Jungs Notiz von mir. Fingen an mich anzuhimmeln. Da hab ich begriffen, dass mein Aussehen Macht bedeutet.« Lye verzog ihr Gesicht voller Widerwillen. »Dabei bin das ja gar nicht ich, sondern es ist das Ding, das ich trage. Ich wollte nie schön sein. Schönheit bedeutet mir nichts. Ich muss dafür jeden Tag meines Lebens zahlen. Aber Macht kann ich brauchen.«
»Du hast sie bei Shiv eingesetzt.«
»Er wird alles tun, was ich sage. Männer denken nicht mit ihrem Kopf, oder? Er behauptet, er liebt mich. Ich glaube, er ist scharf auf mich trifft’s besser.«
»Ich hab Shiv nie als so einen Typen gesehen.«
»Ich weiß nichts über Typen. Ich verstehe Männer nicht. Ich glaub, er versteht sich selbst auch nicht.«
»Also, du machst dir nichts aus ihm? Wirklich gar nichts?«
Lye schien die Frage kaum wahrgenommen zu haben.
»Er will, was ich will, nur nicht auf dieselbe Weise. Für ihn bedeutet unsere Revolution, das zu sichern, was wir erreicht haben. Er hat keine großen Träume. Er wird von lauter kleinen Ängsten und Zweifeln geplagt. Er macht sich zu viele Sorgen, ist zu misstrauisch – er denkt zu sehr klein-klein, und überall sieht er
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