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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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Albert rief: »Jetzt haben sie euch also auch!«
    Col konnte nicht antworten, denn er wurde weitergetrieben. Einer der Rotarmbinden hatte ihm seinen Gewehrkolben in den Rücken gestoßen. Weitere zehn Schritte brachten sie an das Ende der Schlange. Hinter dem letzten Verschwundenen zog sich eine Eisenkette über den Boden und um die Ecke zum nächsten Pfeiler. Und jetzt verstand Col auch, warum alle in einer Reihe standen: Die Kette war zwischen zwei Pfeiler gespannt, und alle Fußfesseln waren an ihr befestigt.
    Seine Erkenntnis wurde bestätigt, als einer der Rotarmbinden begann, auch ihre Fußfesseln an der Eisenkette festzumachen. Col fand sich nun zwischen Riff und Gillabeth wieder. Auf Gillabeths anderer Seite war der letzte der Verschwundenen angekettet – eine eigenartige Gestalt, die von Kopf bis Fuß bandagiert war. Wegen der kurzen Haare vermutete Col, dass es sich um einen Mann handelte, sicher war er sich allerdings nicht, denn auch das Gesicht war bis auf einen Augenschlitz völlig einbandagiert. Als Gillabeth festgekettet wurde, gab die Gestalt durch ihre Bandagen hindurch unverständliche grunzende Laute von sich.
    »Ach, sei ruhig«, fuhr Gillabeth sie an. »Das hilft auch nicht weiter.«
    Die Rotarmbinden standen wartend herum und hielten ihre Waffen bequem in den Armen.
    Nach ein paar Minuten machte sich weiter unten in der Reihe Unruhe breit. Col konnte hören, wie angstvoll die Namen Shiv und Lye geflüstert wurden. Die Rotarmbinden nahmen Haltung an.
    Lye und Shiv gingen die Schlange ab und blieben bei den Neuankömmlingen stehen. Lye war völlig beherrscht, vermied aber jeden Augenkontakt mit Riff. Stattdessen richtete sie ihren Blick auf Sephaltina. Sie betrachtete sie von oben bis unten. »Und hier haben wir also unseren Saboteur. Unsere heimliche Gegenspielerin. Die Ehefrau von Colbert Porpentine.«
    Sephaltina lächelte kindisch, als sie hörte, dass jemand sie als Colbert Porpentines Ehefrau bezeichnete. Doch als sie ihrerseits Lye von oben bis unten betrachtete, war sie verdutzt. »Ich habe dich doch schon mal gesehen!«
    »Das kann gut sein, du hast ja überall rumgeschnüffelt«, gab Lye zurück. »Aber damit ist jetzt Schluss. Hier herrsche ich.«
    »Ja, du herrschst wie ein Tyrann«, fiel Riff ihr ins Wort.
    Lye blickte Riff noch immer nicht an.
    An ihrer statt antwortete Shiv: »Wir erwarten bloß, dass jeder Arbeiter sein Letztes gibt. Was glaubst du wohl, wie wir es sonst geschafft hätten, dass der Liberator so schnell war? Du wolltest Geschwindigkeit, und wir haben sie dir gegeben.«
    Shiv sprach von wir , fiel Col auf, aber Lye hatte von ich gesprochen. Es wurde geradezu quälend deutlich, wie Shiv versuchte, dazuzugehören.
    Jetzt versuchte Mr. Gibber mit lautem Klirren und Rasseln seiner Fußkette Lyes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er trat energisch vor, wurde vom Zug der Kette fast von den Beinen gerissen, blieb abrupt stehen, räusperte und verbeugte sich.
    »Ach, sieh mal an. Hast du mir etwas zu sagen, meiner kleiner Spion?«, redete Lye ihn an. »Was hast du denn heute Neues für mich herausgefunden?«
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    Mr. Gibbers wulstiger Mund verzog sich feixend von einem Ohr zum anderen, aber er sagte nichts. Stattdessen fasste er in seine Jackentasche und förderte einen Schlüssel zutage, den er hoch hielt. Als er sich sicher war, dass alle ihn beobachteten, ließ er sich auf ein Knie nieder, drehte die Fußfessel an seinem linken Knöchel herum, steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Fessel; dasselbe wiederholte er an seinem rechten Knöchel. Er trat die eisernen Manschetten beiseite, richtete sich auf und stellte sich direkt neben Lye.
    Jetzt grinste er und zog Grimassen, so begeistert war er von sich selbst. Lye nickte und gab ihm zu verstehen, dass er die Erlaubnis hatte, ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Er stand sehr nah bei ihr – viel näher als notwendig. Jedenfalls schien Shiv das zu denken. »Was is? Los, spuck schon aus, was du weißt.« Mr. Gibber erzählte flüsternd weiter und trat dann widerwillig zurück.
    »Warte hier«, sagte Lye zu Shiv. Sie schnippte zwei Rotarmbinden mit den Fingern zu, die sie an der Menschenschlange entlang zurückbegleiteten.
    Nach dem ersten Schock arbeitete Cols Hirn auf Hochtouren. Wenn Mr. Gibber Lyes Spion war, ließ sich plötzlich vieles ganz einfach erklären. So war es kein Rätsel mehr, woher Shiv und Lye über Sephaltina Bescheid wussten, denn Mr. Gibber war ja zugegen gewesen, als Col und Gillabeth

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