Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
sich, wie bei jedem Morgenappell, rechts und links von dem Karree aus Electoren und Servanten aus der Kaserne zwei zwölfköpfige Züge Guardians hinzu, jeweils angeführt von einem Sergeanten. In ihren Overalls aus stumpfer nachtschwarzer Kunstfaser, mit den geschulterten mattgrauen Sturmgewehren und den schwarzen Helmen, deren verspiegelte Visiere keine Gesichter erkennen ließen, sahen sie bedrohlich aus– und zugleich doch auch beruhigend unbezwingbar.
Oben auf der dritthöchsten Treppenstufe hatten sich nach den Blockwarten mittlerweile auch die anderen, dienstälteren Master eingefunden. Die Rotkutten reihten sich rechts und links vom Portal aneinander, ließen aber in ihrer Mitte eine gut drei Meter breite Lücke. Sie gewährte einen ungehinderten Blick auf die Plattform vor den beiden mächtigen Flügeln des Eingangs. Nun warteten alle auf das Erscheinen der acht Prinzipalen und des Primas.
Das Gemurmel und leise Gekicher, ja sogar das Gähnen der noch nicht gänzlich Wachen erstarb schlagartig, und es wurde still auf dem Platz, ohne dass es dazu eines Kommandos bedurft hätte.
Gleich kommt Templeton mit den Prinzipalen und dann flammt der Lichtdom auf!, sagte sich Kendira und spielte in Gedanken das Spiel mit sich selbst, mit dem sie sich fast jeden Morgen die Zeit des Wartens vertrieb. Es mochte kindisch sein, aber sie wurde doch nie müde, es immer wieder zu spielen. Wetten, sagte sie sich, heute kommen sie in genau… na, sieben Sekunden! Und stumm begann sie von sieben an rückwärts zu zählen.
Heute Morgen verlor sie die Wette mit sich selbst. Denn es vergingen nicht sieben, sondern gute sechzehn Sekunden, bevor die hohen Flügel des Portals zurückschwangen und Primas Templeton heraustrat, gefolgt von den acht Prinzipalen. Die nahmen hinter den Magistern auf der obersten Treppenstufe Aufstellung.
Primas Templeton war ein hagerer, hochgewachsener Mann mit einem knochigen, asketischen Gesicht und vollem eisengrauem Haar. Mit seiner schneeweißen Kutte und der in schillernden Spektralfarben gehaltenen Seidenschärpe um die Hüften bildete er einen starken Kontrast zu den ihn umgebenden dunkelrot gekleideten Master und Prinzipalen.
Im selben Augenblick, als Templeton auf die Plattform heraustrat, den kaum erkennbaren Bügel seines Funkmikrofons vor dem Mund zurechtrückte und die weit ausgestreckten Hände zum Gruß hob, flammten mehrere Dutzend Scheinwerfer auf. Das Aufleuchten kam aus vier Richtungen: vom riesigen Flachdach des Schwarzen Würfels, vom obersten Ring der Tube und vom Dach des Gym sowie vom Giebeldach der Lichtbasilika.
Die starken Lichtkegel kreuzten sich mehrfach und bildeten über dem Appellplatz ein Gitter, das einem Dach aus Licht gleichkam und deshalb von den Electoren » Lichtdom « genannt wurde.
Mit einer kurzen Verzögerung und einem ungewöhnlichen Flackern setzten die Laser ein. Sie projizierten unter den weißen Lichtdom den tausendstäbigen Kubus, das allgegenwärtige Hyperion-Symbol. Es rotierte unter dem Lichtdach wie von einer unsichtbaren Hand zum Kreisen gebracht und flimmerte dabei mit seinen sich ständig verändernden Spektralfarben.
» Gelobt und gepriesen sei die Erhabene Macht! « Die Stimme des Primas hallte aus den Fassadenlautsprechern vom Portal herab. Sie war von dunkler Färbung und selbst ohne technische Verstärkung beeindruckend kraftvoll, was jeder, der ihm vorher noch nicht begegnet war, bei einem Mann mit so hagerer asketischer Figur niemals erwartet hätte.
» Gelobt und gepriesen sei die Erhabene Macht! « , kam es mit donnernder Lautstärke und wie aus einem Mund von der Versammlung auf dem Platz zurück.
Mit geradezu militärischer Zackigkeit meldeten nun die Master der versammelten Electoren, beginnend mit der Bulldogge Sherwood und dem nach einem Dreivierteljahr noch immer nervösen Seyward, ihre Blöcke als vollzählig zum Appell angetreten. Wilford, der schlaksige und allseits beliebte Master des Delta-Blocks, klang hörbar erleichtert, dass er an diesem Morgen wieder Vollzähligkeit melden konnte und keine neuen Krankmeldungen wegen schwerer Erkältungen verkünden musste wie in der Woche zuvor.
Primas Templeton nahm die Meldungen mit einem knappen Nicken zur Kenntnis. Dann wandte er sich an die versammelten Electoren, Servanten und Guardians und begann mit dem Morgenlob:
» Söhne und Töchter des Lichts, treue Diener der Erhabenen Macht und unverbrüchliche Gefolgschaft Hyperions, seiner hochwürdigen Exekutive auf Erden…
Weitere Kostenlose Bücher