Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
Nichts als Dreck, Trümmer, Zerstörung, Elend und Gewalt! Und das ausgerechnet heute! Als reichte es nicht, was wir uns am Nachmittag draußen auf dem Platz haben ansehen müssen. «
Carson nickte, doch im Gegensatz zu Duke lag seltsamerweise ein heiterer Ausdruck auf seinem Gesicht, der so gar nicht zum Thema zu passen schien. » Ich wünschte auch, unsere Oberen würden uns diese Aufnahmen nicht immer wieder vorsetzen– schon gar nicht an so einem Tag wie heute! Sich das anzusehen, ist ja fast so schlimm wie Master Seywards Cleansing! Findest du nicht auch? «
Fragend blickte er Kendira an seiner Seite an. Dass die Electoren bei diesen gemeinsamen Veranstaltungen im Audimax keine vorgeschriebene Sitzordnung einhalten mussten und sich daher jeder setzen konnte, wohin er wollte, hatte er geschickt dazu genutzt, um einen Sitzplatz neben Kendira zu ergattern.
» Fehlen würden sie mir bestimmt nicht « , erwiderte Kendira und war in Gedanken eigentlich ganz woanders– nämlich bei seiner Hand, die sich während der Veranstaltung mehrfach zu ihr auf die Armlehne verirrt hatte. Es hatte ihr gefallen und sie hatte ihre Hand nicht weggezogen. Ihr war, als hätte er gespürt, wie sehr sie sich im Kreuzgang nach Zärtlichkeit und Nähe gesehnt hatte.
» Mir auch nicht « , pflichtete Nekia ihr bei.
Hailey lachte trocken auf und verdrehte dabei die Augen. » Dass wir uns darüber alle einig sind, liegt ja wohl auf der Hand. Ich wüsste jedenfalls keinen, dem es Spaß macht, sich alle paar Monate diese öden Clips anzusehen. Aber… «
» Wusste ich doch, dass du mal wieder was einzuwenden haben würdest « , fiel Nekia ihr ins Wort, während sie im Mittelgang langsam dem Ausgang näher kamen. Aber noch waren die beiden Prinzipalen außer Hörweite.
» Was kann ich dafür, dass manche von euch nur bis zur eigenen Nasenspitze denken! « , gab Hailey zurück. » Sich diese Clips anzusehen, ist nun mal notwendig. Und es liegt doch auf der Hand, warum unsere Oberen diese Vorführungen für alle zur Pflicht machen, selbst für die Servanten. «
» Wirklich? Dann bitte erleuchte uns, warum sie so notwendig sind « , forderte Carson sie auf.
» Weil es wichtig ist, dass wir durch diese Clips daran erinnert werden, wie gut wir es hier haben und wie auserwählt wir im wahrsten Sinne des Wortes sind « , erklärte Hailey.
Colinda gab einen Stoßseufzer von sich. » Da hat sie nicht ganz unrecht « , räumte sie widerwillig ein.
Leota nickte. » Dafür müssen wir wirklich jeden Tag dankbar sein, wenn man sieht, wie entsetzlich das Leben in der Dunkelwelt ist. «
Kendira pflichtete ihr im Stillen bei. Es war immer wieder bedrückend gewesen, sich die Videoclips anzusehen. Aber an einem Tag wie diesem war es ihnen allen ganz besonders schwergefallen.
Über den Großbildschirm im Audimax der Lichtburg waren wieder einmal die bestürzenden Bilder einer Welt geflimmert, die in Chaos, Hunger und grenzenlosem Elend versunken war. Man hatte ihnen lange Schwenks über ausgebrannte Städte gezeigt, rauchende Trümmerlandschaften von Horizont zu Horizont, in denen sich rivalisierende Gangs blutige Feuergefechte lieferten. Und schier endlose Schlangen ausgemergelter und zerlumpter Menschen mit stumpfen Augen vor schwer bewachten Armenküchen. Bilder von brennenden Meeren, wochenlang tobenden Sandstürmen, die fruchtbare Regionen in karges, ödes Land verwandelten, von unfassbaren Überschwemmungen, die sich über Tausende Meilen erstreckten und alles unter sich ertränkten, und von anderen fürchterlichen Katastrophen. Dazu immer wieder die Bilder von Massen abgerissener und halb verhungerter Elendsgestalten, die in den zerstörten und rauchverhangenen Ruinenstädten und verwüsteten Landstrichen hausten, in Erdhöhlen, ausgebrannten Autowracks, unter halb eingestürzten Brücken, in Bretterhütten und Verschlägen aus zusammengetragenen Trümmern.
Die meisten dieser kurzen Videoclips aus der Welt jenseits der Berge waren in Schwarz-Weiß und von äußerst schlechter, grobkörniger Qualität gewesen, als wären sie aus größerer Entfernung aufgenommen worden. Und die wenigen Beiträge in Farbe hatten nicht weniger schmutzig und deprimierend gewirkt. Was für ein Kontrast zu dem Licht und den brillanten Farben, die sie in Liberty 9 gewohnt waren!
» Ich bitte doch sehr um die gebotene Ordnung! « , rief eine ungehaltene Stimme.
Kendira fuhr aus ihren Gedanken auf. Die Reihe vor ihr war ins Stocken geraten, und der schnauzbärtige
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