Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
und Kolibris zu sehen, die kurz über einer Blüte verharrten, um dann davonzuhuschen und sich aufzulösen.
Alle Farbtöne harmonierten miteinander. Nirgendwo trat einer von ihnen dominierend hervor und stach ins Auge. Alle Farbübergänge waren harmonisch und von zarter Natur.
In diesem zweiten Gang hielt sie sich am längsten auf. Sie setzte sich in eine der Nischen und überließ sich dem ebenso beruhigenden wie ihre Fantasie anregenden Farbspiel, das sich aufBoden, Wänden und Decken entfaltete. Die Leichtigkeit und das ruhige Tempo, in dem sich dabei die Farben und die Muster veränderten, waren Balsam und ließen die entsetzlichen Eindrücke von Master Seywards Auslöschung allmählich verblassen und in den Hintergrund treten.
Sie blieb dort mehr als eine halbe Stunde. Dann brach sie auf. Im dritten Teil des Kreuzgangs, wo sie auf eine ganze Gruppe von Delta-Jungen stieß, geriet sie in einen wahren Rausch von kräftigen Farben. Er wirkte wie ein Mahlstrom auf sie, und sie beeilte sich, ihn rasch hinter sich zu lassen. Im vierten und letzten Gang sah sie sich zu ihrer Überraschung von viel Blau und langsam dahintreibenden Wogen von milchigem Weiß umgeben. Dieses Lichtspiel hatte sie in all den Jahren in der Lichtburg so noch nie erlebt.
So muss es aussehen, wenn man als Vogel an einem strahlend schönen Tag hoch oben am Himmel zwischen kleinen Wolken dahinfliegt!, schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf.
Schon wollte sie auch hier noch eine Weile bleiben, als sie ersticktes Schluchzen und ein leises, aber beschwörendes » Psst! « hörte. Es kam aus der mittleren Nische.
Überrascht und auch verärgert, dass jemand das strenge Gebot absoluter Stille zu brechen wagte, sah sie hinüber. Sie erkannte die beiden Übeltäter sofort. Es waren zwei Mädchen aus dem Delta-Level, und zwar die kräftige Alena und die grazile Sinfora.
Als nach den letzten Selectionen die neuen Delta-Electoren von Eden zu ihnen in die Lichtburg gezogen waren, hatte man ihr, Kendira, Alena eine Woche lang zur Einweisung zugeteilt. Es war jedoch deren Freundin Sinfora, die jetzt von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt wurde und sich trotz Alenas hastig geflüsterter Ermahnungen nicht beruhigen konnte.
Kendira ging sofort auf sie zu.
Erschrocken sprang Alena auf. Und noch bevor Kendira etwas sagen oder fragen konnte, sprudelte es auch schon im Flüsterton und voll ängstlicher Hast aus ihr hervor.
» Bitte sei so gut und melde sie nicht den Oberen, Elector Kendira! Ich weiß nicht, was plötzlich in sie gefahren ist, aber sie kann einfach nicht aufhören zu weinen! Diese… diese grausige Sache mit Master Seyward hat ihr sehr zugesetzt. Ich weiß, es ist nicht recht, so etwas über jemanden zu sagen, der so schändlichen Verrat begangen hat, aber Sinfora hat… Also, sie hat Seyward sehr gemocht. Er war immer gut zu ihr und hat ihr sehr geholfen, als sie sich mit allem so schwergetan hat. Ich bitte dich inständig… «
» Schon gut « , fiel ihr Kendira leise ins Wort. » Ich habe nicht die Absicht, davon Meldung zu machen. Aber sieh jetzt zu, dass du sie aus dem Kreuzgang kriegst, bevor andere hier auftauchen, die deiner Freundin die Tränen um Master Seyward womöglich übel nehmen. «
Alena nickte hastig. » Das werde ich! Danke, Elector Kendira! « Schnell eilte sie zu Sinfora, packte sie unter dem Arm, zog sie von der Bank hoch und führte sie zum Ausgang.
Merkwürdig beschämt Kendira sah ihnen nach und dachte: Wenigstens einer von uns trauert aufrichtig um Master Seyward.
18
»Wie ich diese schrecklichen Videoclips hasse!«, maulte Duke nach der halbstündigen Veranstaltung im Audimax der Lichtburg. Es war eine jener seltenen Pflichtveranstaltung gewesen, an denen alle Electoren und Servanten gemeinsam teilzunehmen hatten. Jetzt drängten alle aus dem Saal– wobei selbstverständlich die Electoren den Vortritt hatten.
Es ging jedoch nur langsam voran, weil die Menge am Ausgang in zwei geordnete Reihen münden musste. Es war nämlich Impftag, und am Ausgang warteten zwei ihrer Prinzipalen mit der Impfpistole, um ihnen ihre monatliche Dosis besonderer Vitamine und Abwehrstoffe zu spritzen.
» Kommt ja zum Glück nicht allzu oft vor, dass wir uns diese Clips anschauen müssen « , tröstete sich Flake.
Fling nickte. » Eigentlich doch nur einmal im Vierteljahr. «
» Alle drei Monate ist mir auch noch zu oft « , erwiderte Duke. » Wir kennen das doch längst zur Genüge. Immer dieselben abstoßenden Bilder!
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