Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
ganz gerne, ohne eine allzu große Sache daraus zu machen. Einmal hatte Ernesto mit ihr geschlafen. Es war schon fast ein Jahr her und nicht sehr spektakulär gewesen.
Aber Liberty Bell? Sie war außen vor. Es war unvorstellbar, dass sie so etwas wie American Idol sah und dabei mitfieberte, oder sie ins Heartbreaker’s am Aberdeen Plaza auszuführen. Oder sie sich dabei vorzustellen, wie sie Flugblätter für Greenpeace in der Fußgängerzone von Old Town verteilte, sich die Nägel lackierte oder wie er mit ihr in einem alten Buick in einer alten Garage schlief, wie er es mit Sally getan hatte – das ging einfach nicht. Dabei musste sie in seinem Alter sein. Verdammt, was für verrückte Gedanken! Er fuhr sich nervös durch die sowieso schon zerstrubbelten Haare.
»Sie bekommt ein Beruhigungsmittel«, sagte Dr. Bolino in diesem Moment und fühlte, vielleicht nur, um vor Ernesto ihren Beruf zu demonstrieren, Liberty Bells Puls. Ernesto war jedenfalls Arztsohn genug, um zu wissen, dass der Pulsschlag eben in diesem Moment exakt auf dem Monitor angezeigt wurde, der über Liberty Bells Kopf an der Wand befestigt war.
Ganz langsam trat er an ihr Bett. Die Luft im Raum roch so intensiv nach Desinfektionsmittel, dass ihm fast schwindelig wurde davon.
»Hey…«, sagte er leise.
Ernesto fühlte sich bleischwer, als er das Milk and Honey betrat. Ed aus dem Ed’s hatte ihm den Tipp gegeben, es dort zu versuchen.
»Sag deinen Freunden, dass ich die Preise aufschlagen werde, wenn sie mir untreu werden und häufiger in dieses blödsinnige Biocafé abwandern«, rief er Ernesto hinterher, ehe die Tür hinter ihm wieder zuschwang.
»Nach Kanada, die Rockies besichtigen«, sagte Ronan gerade, als er näher kam.
»Rockies? Klasse«, erwiderte Jaden. Wie es aussah, redeten sie über ihre bevorstehenden Sommeraktivitäten. Immer noch? War das zu glauben?
»Oh, schaut, da kommt ja Good-old-Che Guevara«, rief Darayavahush erfreut und hob winkend den Arm, als er Ernesto entdeckte. »Na, wie war es im Krankenhaus?«
Dalí, der glücklich neben Salvador saß – anscheinend nahm es Jill, die Inhaberin des Milk and Honey, mit dem Hundeverbot weniger genau als Ed und Mr Clark, bellte und versprühte dabei einen Schwall Hundezungenessenz wie immer.
»Was macht ihr denn hier?«, fragte Ernesto und setzte sich seufzend auf einen der vielen hellen Kiefernholzstühle, mit denen das Biocafé vollgestellt war.
»Wir sind natürlich der Frauen wegen da«, raunte Darayavahush und wies verstohlen auf Liza, Portia, Nyu und etliche andere Mädchen ihres Jahrgangs, der seit vorgestern Geschichte war. Im September würden sie in alle Winde verweht werden, wenn es auf die verschiedenen Colleges ging.
Außer den Mädchen waren aber noch mehr bekannte Gesichter im Milk and Honey zu sehen. Mrs Franklin, Jadens Mutter, war da und sah mehr denn je aus wie ein rosiger Pfirsich. Ihr gegenüber saß Mrs Sengers, die ebenfalls an der Grundschule unterrichtete. Sie war noch nicht lange in der Stadt, vielleicht ein paar Monate. Dara hatte eine Schwäche für sie, aber er hatte ja für alle gut aussehenden Frauen eine Schwäche.
»Stellt euch vor, sie heißt Seraphine mit Vornamen«, hatte er seinen Freunden erst vor ein paar Wochen berichtet. »Ich habe sie gestalkt, wenn ihr so wollt. Seraphine! Mann, mit der könnt ich mir auch so manches brisantes Ihr-wisst-schon-was ausmalen…«
»Sie ist allerdings schon über dreißig«, hatte Jaden eingewandt. Seine Mutter hatte sich Mrs Sengers angenommen, die beiden steckten dauernd zusammen, und das, obwohl Mrs Franklin schon beinahe sechzig war.
»Egal«, hatte Darayavahush abgewinkt. »Frauen mit dreißig sind gerade erst auf ihrem sexuellen Höhepunkt. Das habe ich in der Cosmopolitan meiner Mom gelesen!«
»Und? Wie war es?«, erkundigte sich nun auch Salvador.
Ernesto schaute in die Runde. »In einem Wort?«
Die anderen nickten.
»Beschissen.«
»Wieso? Wollte sie dich nicht sehen?«, hakte Ronan nach.
Ernesto warf Jaden einen Blick zu. Wie kam es, dass jemand wie die gute Miss Peach so einen blöden Sohn haben konnte? Und dass sie, als wäre das nicht schon mies genug, auch noch die Tante von einem Scheißkerl wie Cal Wyludda war?
Ernesto entging nicht, dass Jaden seinem Blick auswich. Feige war er eben auch noch.
»Ich erzähl’s euch, wenn er die Biege gemacht hat«, sagte Ernesto düster und winkte ungeduldig ab, als Jill kam und fragte, ob er etwas bestellen wolle. Nach einigem Hin und
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