Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
laut. Und damit machten sie sich aus dem Staub, indem er diesen Widerling von Channel 77 einfach zur Seite stieß.
8
Z wei Monate lang ohne jeden Stundenplan. Und dann aufs College«, sinnierte Dara. »Das ist klasse. Weltbest. – Einen Monat davon nach Teheran, das ist schon weniger klasse. Mistfamilienpflichten! Eine meiner Cousinen heiratet. Himmel, das interessiert mich ungefähr so sehr wie ein umgekippter Sack Reis in China, Leute! Ich weiß ja nicht mal ihren Namen…«
»Du wirst dich bestimmt gut amüsieren«, tröstete Mose seinen Freund. »In Teheran gibt es schließlich auch Mädchen.«
»Ja, gut verborgen hinter Schleiern. Ist mir schleierhaft, dass die Frauen das klaglos mitmachen. Also ich würde jedenfalls komplett durchdrehen, wenn ich immer in dicke Gardinen gehüllt durch die Gegend latschen müsste, echt! – Verdammt, Lizas freizügiges Antlitz wird mir fehlen!«
Die Highschool war seit ein paar Tagen Geschichte und sie hatten sich seither zu nicht viel mehr aufraffen können als das, was sie jetzt taten. Ronan lag mit verschränkten Armen im Gras und hatte die Augen geschlossen, Dalí hechelte, als strebe er einen Weltrekord in dieser Disziplin an, Salvador hatte den Hinterkopf gegen einen Baumstamm gelehnt und tippte etwas in sein Mobiltelefon, Mose lag mit dem Gesicht im Gras und atmete Sommergeruch ein, Darayavahush lag ebenfalls auf dem Bauch und blätterte träge in einem Magazin herum. Nur Ernesto, der gar nichts tat, sah die Gestalt, die sich ihnen zögernd näherte.
Es war Jaden.
»Hi Leute«, sagte Jaden, als er sie erreicht hatte, und versuchte, wie es schien, alltäglich zu klingen. »Lange… nicht so richtig gesehen.«
Die anderen öffneten Augen, drehten sich um, verdrängten Liza-Rodriguez-Gedanken, schoben Dreibeiner zur Seite, beendeten mobile Telefonnachrichten und sagten ebenfalls Hi und Hallo, mehr oder weniger enthusiastisch. Ernesto war der Einzige, der schwieg.
»Übel, die Sache mit dem alten Flavio, was?«, fuhr Jaden fort und setzte sich ebenfalls ins Gras. »Die Cops sollen ja noch völlig im Dunklen darüber tappen, wer’s gewesen ist. Und warum. Und so.«
»Portia sagt, ihr Vater sagt, ihr Nachbar sagt, dass es sich um eine alte Sache handeln könnte. Aus Vietnamzeiten oder so. Racheaktion, vielleicht. Flavio hat ja oft angedeutet, dass damals übelste Sachen abgingen und dass er in eine Menge Scheiß verwickelt war«, murmelte Darayavahush.
»Ähm, aber ist dieser verdammte Krieg nicht seit 1975 zu Ende?«, wandte Mose ein. »Nach fast vierzig Jahren loszustiefeln und Rache zu nehmen, wäre doch etwas… kleinlich, oder?«
Die anderen redeten noch eine Weile hin und her, aber irgendwann hielt Ernesto es nicht mehr aus. Der Anblick von Jaden brachte alles wieder in ihm hoch.
… man hört, man muss sie künstlich ernähren, die arme Kleine…
Ein dümmlicher, weiblicher Forrest Gump… … komplett stumm…
»Mist, verdammter«, murmelte er und sprang auf.
»He, was ist los?«, erkundigte sich Salvador und hob den Kopf.
Ernesto wischte sich mit dem verschwitzten Handrücken über die nasse Stirn. »Ich gehe jetzt nach ihr sehen«, sagte er entschlossen. Und damit drehte er sich auf dem Absatz um und lief los. Zum Teufel, das hätte er schon längst tun sollen.
»Viel Glück, Bruder im Geiste«, rief ihm Darayavahush hinterher. »Lass dich diesmal nicht abwimmeln, hörst du? Meinen Segen hast du!«
Es war der Hammer. Sie ließen ihn immer noch nicht hinein.
»Das ist leider völlig unmöglich«, sagte die Krankenschwester am Empfang. Sie war größer als Ernesto, größer als Darayavahush und sogar größer als Salvador, der der Größte von ihnen allen war.
»Was soll das? Warum?«, sagte Ernesto wütend.
»Vorschriften.« Die Riesenkrankenschwester zuckte mit den Schultern und schaute zurück auf ihren Computermonitor. »Besuch wäre nur Verwandten gestattet. Niemandem sonst. Was meinen Sie, was hier los ist? Wir hatten jede Menge Ärger mit Leuten von der Presse. Und mit anderen Neugierigen…«
Was für ein Schwachsinn, was für ein himmelschreiender Schwachsinn: die Sache mit den Verwandten!
»Aber das Mädchen hat doch keinen«, sagte Ernesto verzweifelt. »Ich… ich kenne sie, wenigstens ein bisschen.«
»Niemand kennt das Mädchen, das ist es ja gerade.«
Ernesto machte eine ungeduldige Geste mit der Hand. »Ich… ich meine, ich war bei ihr, ehe sie hierhergebracht wurde – und ich habe mit ihr gesprochen…«
»Gesprochen?«
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