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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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Zum ersten Mal wirkte die Riesin einen Hauch interessiert.
    Ernesto biss sich auf die Lippen. Das hatte er bisher kaum einem erzählt, nicht den Cops, die ihn nach der Nacht im Wald kurz und desinteressiert befragt hatten, und schon gar nicht seinem Vater. Nur seine Freunde wussten davon.
    »Hast du gesprochen – oder hat sie gesprochen?«
    Er überlegte einen Moment. Vielleicht war das hier seine Chance.
    »Wir haben beide gesprochen.«
    Die Schwester warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Du behauptest also tatsächlich, das Mädchen habe Worte an dich gerichtet? Verständlich geredet?«
    »Ja, das hat sie.«
    Die Krankenschwester maß Ernesto mit Röntgenblicken, einer ganzen Salve davon, unwillkürlich kniff er die Augen gegen diese Attacke zusammen.
    »Warte hier«, sagte sie dann knapp, mehr nicht, und es klang wie ein Befehl.
    Notgedrungen blieb Ernesto, wo er war. Viel lieber wäre er mitgegangen und hätte nach Liberty Bell gesehen – endlich. Aber er hatte leider keine Ahnung, wo sie sie hingesteckt hatten in diesem verschachtelten, unübersichtlichen Riesenbau.
    »Hier ist der junge Mann, der behauptet…«
    Die Riesenschwester war schneller zurück als erwartet und diesmal hatte sie sich Verstärkung mitgebracht. Ohne ihren angefangenen Satz zu beenden, wies sie mit vielsagender Geste auf Ernesto. Zum Glück hatte sie nicht Dr. Walther geholt, den Leiter der neurologischen Abteilung und Freund seines Vaters. Ernesto mochte ihn nicht besonders.
    »Guten Tag, ich bin Dr. Bethany Bolino. Und dies ist mein Kollege Dr. Oakville.«
    Dr. Bolino war vielleicht so alt wie seine Mutter und sie war nicht eine Spur attraktiv, eher das Gegenteil – sie hatte leicht vorquellende Augen und eigenartig aufgetürmte sandfarbene Haare, aber sie lächelte offen und freundlich, während sie ihm die Hand reichte.
    Dr. Oakville dagegen sah vierschrötig und wenig freundlich aus.
    Sie führten Ernesto in ein helles Büro, boten ihm Cola und Cashewnüsse an und regten sich erst mal darüber auf, dass man ihnen bisher nichts von dem Jungen mitgeteilt hatte, der das Mädchen vor ihrem Unfall gesehen hatte. Zumindest Dr. Oakville regte sich auf. Dann begannen sie, ihm Fragen über diese Nacht zu stellen, die er bei Liberty Bell in ihrer Hütte verbracht hatte.
    Dr. Bolino war freundlich und zuvorkommend und notierte alles, was er antwortete, auf einem Bogen Papier. Dr. Oakville dagegen machte ein Gesicht, als läge es für ihn im Bereich des Möglichen, es mit Ernesto mit einem Perversen zu tun zu haben, der in besagter Nacht irgendetwas Gesetzeswidriges angestellt haben könnte.
    »Ernesto Merrill?«, wiederholte Dr. Bolino zum Schluss und hob den Kopf. Gerade hatte Ernesto ihr der Vollständigkeit halber seinen ganzen Namen und seine Adresse genannt. »Bist du etwa der Sohn von Dr. Stanley Merrill?«
    Ernesto nickte und Dr. Bolino lächelte ein weiteres Mal dieses attraktive Lächeln in ihrem unattraktiven Gesicht. »Dann kennst du natürlich auch Dr. Walther? Er leitet die Abteilung hier.«
    Wieder nickte Ernesto und sah, wie die beiden Ärzte sich einen vielsagenden Blick zuwarfen.
    Dann stand Dr. Bolino auf. »Das sind doch insgesamt gute Neuigkeiten«, sagte sie. »Ich meine, wir wissen jetzt, dass das Mädchen tatsächlich sprechen kann, gesprochen hat. Das bestätigt die neurologischen Untersuchungen. Ihr Gehirn ist intakt, sie kann – wenigstens theoretisch – sprechen, denken, gehen, handeln. Ich erinnere an die von ihr gezüchteten Biberratten. Sie ist – im Großen und Ganzen – körperlich gesund, sie hat sich gut ernährt, sie konnte alleine für sich sorgen …«
    Dr. Oakville hingegen machte ein skeptisches, unnahbares Gesicht.
    »Langsam, langsam, Bethany«, war alles, was er sagte. Aber wahrscheinlich hielt er sich nur deshalb zurück, weil Ernesto mit im Büro saß. Sein Blick sprach Bände. Unangenehme Bände, wie es Ernesto schien.
    Er begann, sich von Minute zu Minute unwohler zu fühlen. Vielleicht war es doch falsch, dass er über die Nacht geredet hatte? Vielleicht würde er damit gar nichts erreichen? Dabei hatte er jedes Detail sorgfältig abgewogen. Er hatte geschildert, wie sie Liberty Bell im Wald entdeckt hatten. Dass sie nackt gewesen war. Dass sie geschwommen war. Dass sie diese Biberratte geschlachtet hatte, um sie, wie es schien, zuzubereiten. Dass sie Heuschrecken mit Kohlgemüse aß. Dass sie ihre Hütte sauber hielt. Dass sie aus Fellen Kleidungsstücke und Decken nähen konnte. – Und

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