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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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waren völlige Fremde für sie. Fremde in einer fremden Welt, dachte Ernesto.
    Der alte Mr Lyford schien keine Antwort mehr zu erwarten. »Sie hatte es nicht nötig, von uns zu erzählen«, knurrte er wütend. »Dass wir ihr alles gegeben haben. All ihre Launen aushielten! Ihre Herumtreibereien! Die abnormen Partys, die sie feierte, wenn wir außer Haus waren! Der Pool, in dem Erbrochenes und andere Fäkalien schwammen, wenn sie mit ihren sogenannten Freunden dort ihre Orgien abhielt! Die Drogen, mit denen sie sich vergiftete! Stück für Stück! Tag für Tag! Aber hatte sie es auch nicht nötig, dir VON ROBERT ZU ERZÄHLEN?«
    Spencer Lyford war laut geworden, während ihm Tränen über sein eingefallenes Gesicht liefen.
    Liberty Bells Augen waren weit aufgerissen. »Meine Mutter war ein guter Mensch«, presste sie hervor. »Sie liebte den Wald. – Das Leben. – Unseren Herrgott. – Die Tiere. – Die Stille. – Und Robby.« Plötzlich ging ein Ruck durch sie und sie richtete sich kerzengerade auf. »Keiner soll schlecht von ihr sprechen!«, sagte sie und Ernesto zuckte zusammen, so zornig klang ihre Stimme plötzlich.
    Mr Lyford war kalkweiß im Gesicht geworden. Dr. Oakville trat an seine Seite und griff nach seinem Arm.
    »Sie sollten sich besser etwas beruhigen, Mr Lyford«, sagte er besorgt und tastete nach Mr Lyfords Pulsfrequenz. Wahrscheinlich hatte er Angst, demnächst einen weiteren Patienten zu haben. Oder einen Toten.
    »Lassen Sie mich los«, schnaubte Mr Lyford und zog so würdevoll wie möglich seinen Arm zurück.
    Da trat Dr. Bolino einen Schritt vor. »Mr Lyford, so war das nicht abgesprochen. Wir haben Ihnen das Besuchsrecht gewährt, aber wenn Sie weiter so außer sich geraten, müssen wir Sie bitten zu gehen«, sagte sie mit fester Stimme und Ernesto bewunderte sie für ihren Mut und ihre Gelassenheit. »Liberty Bell ist noch längst nicht stabil genug, um einer derartigen Konfrontation ausgesetzt zu werden.«
    Dr. Walther und Dr. Oakville waren da ganz offensichtlich anderer Meinung, aber sie besaßen wenigstens den Anstand, ihrer Kollegin nicht in den Rücken zu fallen. Die Sozialarbeiterin lächelte Liberty Bell beruhigend zu, aber Liberty Bell sah es nicht einmal.
    Der alte Mann sackte unterdessen in sich zusammen und ließ sich auf den Besucherstuhl zurückfallen. Die Tränensäcke unter seinen Augen wirkten in diesem Moment wie bleischwere Taschen für diese ganze Traurigkeit und Empörung, die in seinem Kopf scheinbar keinen Platz mehr gefunden hatten.
    »Jetzt will ich mal etwas erzählen.« Plötzlich war er ein ganz anderer Mensch, schwach und aller Macht beraubt. »Wir hatten nur dieses eine Kind«, flüsterte er. »Leider. Die anderen – verlor meine Frau dummerweise jedes Mal lange vor der Zeit. Aborte, nennt man so etwas. Schlimme Sache. – Wir lebten lange in Japan, eine Weile in den arabischen Emiraten, außerdem in Europa. Unserer Tochter mangelte es an nichts. Sie hatte Kinderfrauen, sie hatte Au-pairs, wir lasen ihr jeden Wunsch von den Lippen ab. Sie hatte ein großartiges Leben, sie hätte alle Chancen gehabt. Stattdessen wurde sie eine Herumtreiberin, eine Querulantin, eine Schulversagerin. Und dann fing sie mit den Drogen an. Wir schafften sie in eine Klinik. Und dann in noch eine. Wir schämten uns in Grund und Boden. Wir wussten nicht ein noch aus. Und schließlich lachte sie sich dieses Unglückskind, dieses Halbnegerkind an, und nannte es Robert. Ausgerechnet Robert! So hieß mein Vater, der ein redlicher Mann war, Gott hab ihn selig…«
    »He Liberty Bell …«, flüsterte Ernesto in diesem Moment. Liberty Bell schwitzte. Auf ihrer Stirn hatte sich ein glänzender Schweißfilm gebildet. Ihre hellen Augen, die an Mr Lyford hingen, glänzten fiebrig. »Soll ich machen, dass er aufhört, Liberty Bell? Möchtest du, dass alle gehen? Ich… ich bringe sie alle raus, wenn du willst.«
    Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf.
    »Dieses – Kind, dieser kleine Junge, den sie nur bekommen hatte, um uns eins auszuwischen, da bin ich mir sicher …«, fuhr Mr Lyford fort und inzwischen war seine Stimme kaum noch zu verstehen, »dieses Kind war wider Erwarten ein lustiger, kleiner Kerl. Ich begann, ihn erst gernezuhaben. Und dann… ihn zu lieben, verdammt noch mal!«
    Es war ein ungeheuer leises »Verdammt-noch-mal« und ging in Mrs Lyfords ebenso leisem Weinen fast unter.
    »…aber dann starb er …«, flüsterte Liberty Bell und zum ersten Mal schien sie tatsächlich

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