Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
Vom Netzwerk:
so etwas wie ein Teil der Familie Lyford zu sein.
    »Ja, allerdings, dann starb er …«, sagte Mr Lyford heiser. »Sie… ließ den Kleinen einfach sterben, während ihr Kopf voller Drogen war. Robert hatte einen schweren Asthmaanfall in dieser schrecklichen Nacht, er war ein anfälliges Bürschchen… Sie lebten in einer heruntergekommenen Wohnung, wir hatten nicht einmal die genaue Anschrift… Sie kam eben nur ab und zu mit dem Kleinen vorbei, wenn sie uns um Geld anging… Sie hatte uns mehrfach versichert, keine Drogen mehr zu nehmen. Ja, das hatte sie uns glauben lassen…«
    »Robby ist eines Nachts gestorben, das stimmt – und meine Mutter legte Blumen auf seine geschlossenen Augen«, erwiderte Liberty Bell mit zusammengebissenen Zähnen und sank auf die Kante ihres Bettes. »So ließ sie ihn beerdigen. Sie – hat – ihn – sehr – geliebt.«
    »So ließen wir ihn beerdigen«, verbesserte Mr Lyford und klang dabei ungeheuer erschöpft. »Annie? Sie tat gar nichts. Sie saß nur da wie erstarrt, nachdem wir sie eingesammelt hatten, und versuchte zu begreifen, was sie da getan hatte. Ihr eigenes Kind sterben lassen, während sie direkt danebenlag und es einfach nicht mitbekam, weil ihr der Drogenrausch, ohne den sie ja nicht sein konnte, derart den Kopf vernebelt hatte, dass sie übersah und überhörte, was passierte. Dass Robert um sein Leben kämpfte, dass er weinte und schrie, während er versuchte, zu atmen, zu überleben…«
    Zum ersten Mal ließ sich Mrs Lyford vernehmen. »Und dann verschwand sie«, sagte sie laut und deutlich, es klang beinahe sachlich, das Weinen war vorbei. »Bei Nacht und Nebel. Es war die Nacht nach der Beerdigung. Sie verließ unser Haus. Und kam nie wieder.« Ihre Stimme klang bitter. »Wir ließen sie natürlich suchen. Jahrelang. Es kostete Unsummen. Irgendwann fanden wir uns dann damit ab, dass sie tot sein musste. Niemand hörte je wieder von ihr…«
    Liberty Bell schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein«, flüsterte sie, sank auf die Kante ihres Klinikbettes, presste die Hände auf ihr Gesicht und begann, sich langsam hin und her zu wiegen. »Sie war ein guter Mensch, wirklich. Sie machte… ihren Frieden mit – Gott… Sie las viel in der Bibel. Sie ließ die – böse Schattenwelt hinter sich zurück. Sie sagte, es wäre der einzige Weg. Nur so konnte sie ein neuer Mensch werden!« Liberty Bell nahm die Hände aus dem Gesicht. »Sie litt wegen Robert, der sterben musste! Sie litt! Sie litt! Sie litt! Aber Gott verzieh ihr schließlich! Weil sie bereute! Und dann machte sie alles besser!«
    Liberty Bells Stimme war laut geworden, fast schrill. »Sie bekam mich! Sie gab mir all ihre Liebe! Sie hütete mich wie einen Schatz! Sie brachte mir Lesen und Schreiben bei, als ich klein war! Sie sang für mich! Sie gab mir all ihren Schutz! Mir geschah niemals – etwas Böses!«
    »Ganz ruhig, Liberty Bell«, sagte Leslie in diesem Moment begütigend und trat an ihre Seite. Ernesto schloss unterdessen die Augen und versuchte, sich zu sammeln, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
    »Einmal, als ich schlimme Ohrenschmerzen hatte«, fuhr Liberty Bell etwas leiser fort, »legte sie mir stündlich heiße, frisch zubereitete Zwiebelumschläge auf die Ohren, die ganze Nacht lang, und wiegte mich in ihren Armen, bis es hell wurde.«
    »Verrückt, das alles für ein – Findelkind. Und ihr eigenes Kind ließ sie einfach so sterben …«, murmelte Mr Lyford. Er erhob sich mühsam und schlurfte hinüber zum Fenster. »Im Grunde hätte sie dieses Mädchen gar nicht behalten dürfen. Sie hätte es der Fürsorge übergeben müssen. Nach allem, was mit Robert geschehen war…«
    Liberty Bell hatte den Kopf gehoben.
    »Findelkind?«, wiederholte sie mit hohler Stimme.

14
    D u hast es gewusst. Alle wussten es. Die Leute hier. Diese… Ärzte… Leslie, die immer nett tut. Die Krankenschwestern… Alle. – Nur ich nicht…« Liberty Bells Stimme verlor sich und sie schlug die Hände vors Gesicht.
    Vor dem Klinikfenster zog eine schwächliche Abenddämmerung auf, der Himmel sah aus, als hätte er blaue Flecken nach einer Rauferei abbekommen. Lange rötliche Streifen verschmierten die Oberflächen der Wolken wie blutige Kratzer. Die Lyfords waren gegangen. Das Ärzteteam und die Sozialarbeiterin hatten sich ebenfalls zurückgezogen. Allein Dr. Bolinos Einsatz war es zu verdanken, dass Ernesto noch bleiben durfte.
    »Ich… mag es hier nicht«, flüsterte Liberty Bell tonlos. »Ich muss

Weitere Kostenlose Bücher