Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
lenkte er den Wagen an der nächsten Auffahrt wieder auf den Highway, einfach weil er nicht wusste, was er sonst hätte tun sollen.
Schließlich hielt er in einer weitläufigen Haltebucht. Hier war der zweithöchste Punkt von Old Town; von hier aus hatte man einen fantastischen Blick über die Stadt. Viewpoint stand auf einem Schild, das sie vom Auto aus sehen konnten.
Ernesto spielte nervös mit dem Licht, schaltete es ein und aus und tauchte das Gestrüpp ein paar Meter weiter an der Mauer in gespenstiges Licht.
»Leute, fassen wir mal zusammen«, meldete sich Dara schließlich von hinten zu Wort. »Erstens: Liberty Bell muss, wenn sie nicht zurück ins Krankenhaus will, irgendwo, sagen wir mal, in Deckung gehen. Zweitens …«, seine Stimme wurde wieder selbstbewusster, ganz der alte Dara, »ich muss pissen wie ein Weltmeister und drittens wartet in einer Stunde Portia Jenkins im Heartbreaker’s auf mich.«
»Er spricht auch in der dritten Person über sie, habt ihr gehört?«, warf Mose ein. »Aber der Mohammedaner wird deshalb nicht angeschnauzt, oder was?«
Sie lachten kurz, aber die Stimmung blieb angespannt. Liberty Bell starrte jetzt mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster.
»Vielleicht zu euch, Dara?«, fragte Ernesto.
Dara schüttelte den Kopf. »Ihr wisst ja, bei uns ist immerzu der halbe Iran im Haus. Zu riskant. Egal wo wir – dich hinstecken würden, Liberty Bell, du würdest garantiert ständig über einen Moslem stolpern.«
Dara warf Mose einen triumphierenden Blick zu. »Zweite Person Singular, Alter – hast du’s gehört? Der Mohammedaner ist eben lernfähig, liebenswürdig, immer höflich und ein Weltmann…«
»Und was ist mit euch, Mo?«, fuhr Ernesto fort, ohne Dara weiter zu beachten. Seine Nerven waren auf einmal zum Zerreißen gespannt. War es gut, was sie da machten? Würde es nicht alles noch viel komplizierter machen, wenn sie Liberty Bell jetzt praktisch entführten? Andererseits hatte sie es eben unmissverständlich ausgedrückt: Sie würde nicht zurück in die Klinik gehen. Und damit war die Entscheidung getroffen, so oder so.
Verstohlen betrachtete er sie aus den Augenwinkeln. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wie es gewesen war, ehe er sie gekannt hatte. Vorsichtig fuhr er mit den Fingern über ihren angespannten Oberschenkel, der schmal war, aber fester, als er Sallys in Erinnerung hatte, was kein Wunder war. Schließlich war Liberty Bell im Wald aufgewachsen. Sie konnte Bäume fällen, Tiere jagen, sie war mit Abstand der freieste Mensch, dem er je begegnet war. Und genau diese Tatsache berechtigte ihn, Liberty Bell dabei zu helfen, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Oder etwa nicht?
»Du bist… wunderschön«, flüsterte er ihr ins Ohr und schloss für einen Moment die Augen, als ihre Haare sein Gesicht kitzelten. Aber Liberty Bells Stirn blieb gerunzelt.
Mose schüttelte den Kopf. »Sorry, Alter, aber meine Tante Phoebe, Onkel Bill und ihre beiden lauten Kleinkinder wohnen bis Rosch Haschana bei uns, weil ihr eigenes Haus renoviert wird. Und Bill ist schließlich der ermittelnde Policeofficer in der Angelegenheit. Ich wüsste nicht, wie wir dich vor ihm verstecken könnten, Liberty Bell.« Er lächelte ihr entschuldigend zu.
»Cedar’s End fällt wohl auch aus«, murmelte Ernesto nachdenklich. »Oder – was meint ihr? Vielleicht wäre es gar nicht der schlechteste Schachzug, wenn wir dich direkt in der Höhle des Löwen, also bei Baz, verstecken würden. Da sucht garantiert keiner nach dir.«
»Alles ist schrecklich«, flüsterte Liberty Bell, ohne auf Ernestos verrückte Idee einzugehen. Starr schaute sie aus dem Fenster über die Stadt, die nur aus Lichtern und Autos zu bestehen schien. »Ich gehöre nirgends hin. Ich bin allen nur eine Last. – Am besten wäre es wohl, es gäbe mich gar nicht.«
Ernesto starrte sie erschrocken von der Seite an. »He, so ein Blödsinn«, stotterte er. »Was redest du denn da? Du… du bist niemandem eine Last. Und für mich bist du – das Beste, was mir passieren konnte.«
Genau in diesem Moment fiel Mose das Knock-Knock ein.
Handys aus, eine Dreiviertelstunde Fahrt lag vor ihnen, nachdem sie Dara in der Stadt rausgelassen hatten. An seiner Stelle hatten sie Ronan eingesammelt, der seit ein paar Tagen wieder zu Hause war. Er war nötig für das Knock-Knock. Aber vorher mussten sie noch Sergeant Pepper aus dem Rampenhaus schmuggeln.
»Das Vieh wird sich in den Wäldern rund um das Knock-Knock wohlfühlen,
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