Liberty: Roman
wieso du ihn hier aufgebaut hast.«
»Ihr habt gesagt, es sei in Ordnung, weil ich Nechis Freund bin. Und ihr habt jede Menge Sachen aus dem Kiosk genommen, ohne auch nur einen Schilling dafür zu bezahlen.«
»Natürlich, es ist ja auch unser Kiosk. Jetzt sehen wir uns mal die Abrechnungen an, denn wir wollen die Hälfte der Einnahmen.«
Nechi sagt nichts dazu, er ist nur der kleine Bruder. Ich packe sofort die teuersten Waren ein, bestelle ein Taxi und belade es, Nechis Familie sieht mir hinter den Gardinen zu. Der Kiosk ist teuflisch schwer – wie kann ich ihn abtransportieren? Ich habe Angst, dass sie ihn aufbrechen und den Rest der Ware stehlen. Und Nechis Bruder ist bei der Polizei. Wenn ich abwarte, könnte er alles Mögliche anstellen. Ich gehe sofort zu Musa Engineer und verkaufe meinen Kühlschrank. Heuere einen Zimmermann beim FITI an und besorge den Valmet-Traktor mit einem Anhänger vom West-Kilimandscharo. Ich schlafe nicht.
Am nächsten Vormittag sind wir am Kiosk. Er wurde aufgebrochen – leer; das Warenlager ist verschwunden. Nechis Schwägerin steht in der Tür.
»Du kommst hier nicht hinein, das ist nicht dein Haus«, sagt sie.
»Ihr habt meine Ware gestohlen.«
»Wenn du irgendetwas versuchst, rufe ich die Polizei.«
Am Schlagbaum zur Polizeischule stehen zwei Polizeischüler mit Gewehren im Wachhäuschen – sie würden angesprungen kommen, um sich bei Nechis großem Bruder einzuschmeicheln, ihrem Lehrer auf der Polizeischule. Ich tue so, als ginge ich weg, schleiche mich aber um die Ecke des Hauses und gucke durch ein Fenster. Eeehhh – dort steht meine Ware, gestapelt auf dem Wohnzimmerboden.
Sofort beginnen der Zimmermann und ich, den Kiosk abzubauen. Wir fahren ihn zu Larssons, stapeln ihn als Bretter und Platten hinter meinem Ghetto auf der Erde. Mein Traum wurde auseinandergenommen, zerstückelt; ich bin ohne Kühlschrank und ohne Ware, wieder am Arsch. Nechi kommt in mein Ghetto, schamgebeugt.
»Es tut mir fürchterlich leid, wie sie dich behandeln«, sagt er. »Sag mir, wenn ich dir irgendwie helfen kann.«
»Hast du Geld?«
»Nein.«
Und mein allerletztes Geld hat Edson genommen. Weil er das Kind mit dem Gesicht des GM versorgen soll, ist er wütend. Er schaut seine Frau an, er schaut das Kind an, und alles, was er sieht, ist Betrug.
Eines späten Abends kommt er mit wilden Augen an meine Tür.
»Du musst mir helfen«, sagt er. »Ich muss verschwinden.«
»Was ist passiert?«, frage ich, doch dann sehe ich die starken Akrobatenhände mit Knöcheln wie Hackfleisch. Edson zittert.
»Sie hat gesagt … Sie hat gesagt, ich bin nicht ihr Mann. Und sie kommt mit teuren Sachen nach Hause, die sie sich niemals von ihrem Lohn kaufen könnte. Woher kommen diese Sachen? Es sind Geschenke vom GM , weil er sie wie ein Feld durchpflügt.«
»Lebt sie noch?«, will ich wissen und schaue von den Hackfleisch-Händen in Edsons wildes Gesicht.
»Ja«, sagt er und guckt auf seine Hände. »Nur das Gesicht ist futsch.« Ich gebe ihm Geld für die Flucht. »Wenn ich mein neues Leben in Daressalaam begonnen habe, schreibe ich dir einen Brief. Du bekommst dein Geld zurück.« Und ich winke dem Geld hinterher, als er in die Nacht hinausgeht.
ZUKUNFT
Ich rede mit Claire über meine Probleme. Sie sieht mich sehr kühl an.
»Du erwartest, dass andere Menschen dein Leben aufbauen. Die Nechi-Familie soll dir helfen, die wazungu sollen dir helfen. Aber wenn du dir ein Leben aufbauen willst, musst du dir selbst helfen.«
Ich bin sprachlos, denn in Tansania wirst du ein Mädchen nie so direkt zu einem Jungen sprechen hören. Claire senkt den Blick: »Entschuldige, dass ich so rede.«
»Du hast recht«, sage ich. »Aber wenn wir beiden zusammen sind, dann können wir uns auch gegenseitig helfen.«
»Du willst doch nur nach Europa und im Land der Weißen wohnen. Rosie hat mir von all diesen Plänen erzählt.«
»Nein, ich will da gar nicht wohnen. Europa ist wie ein Kühlschrank. Der Plan ist, in Schweden einen Fortbildungskurs zu absolvieren, damit ich etwas lerne und mir die Ausrüstung kaufen kann, um in Moshi eine professionelle Diskothek zu betreiben. Dann kann ich mir eine gute Zukunft in Tansania aufbauen. Zusammen mit dir.«
»Du wirst nur schlimm sein und mit jedem Mädchen Spektakel treiben«, sagt Claire. Sie hat alles über das schlimme Gepumpe gehört – ich und Rosie, ich und Vicky. »Aber ich bin ein anständiges christliches Mädchen.«
»Ich weiß – darum mag ich dich ja.
Weitere Kostenlose Bücher