Liberty: Roman
ich ihn am nächsten Morgen.
»Fantastisch.«
Anders ist abgereist. Ich vermisse ihn. Es war schon etwas einfacher, mit einem Dänen zu reden.
Zufällig treffe ich Marcus im Kibo Coffee House. Er kommt an meinen Tisch. Setzt sich mir gegenüber, legt die Hände zusammen und hält eine kleine Rede. Ich glaube, er hat sie vorbereitet.
»Ich habe dir bei allem geholfen, was du hier in Moshi machst, und dann trittst du mich wie einen Hund, noch bevor wir die Früchte des Baumes probieren konnten, den wir zusammen gepflanzt haben. Und jetzt isst du sämtliche Früchte, und ich hungere. Das ist falsch. Es wäre richtig, wenn ich bei Rebel Rock Sound System dabei wäre. Ich könnte gute Arbeit für dich leisten.«
»Marcus«, gebe ich ihm zur Antwort. »Du bist nicht in der Lage, dich an Absprachen zu halten. Immer heißt es kesho , wenn du etwas erledigen sollst.« Kesho – morgen.
»Damals, ja, da gab es eine Menge Probleme mit der kranken kleinen Rebekka, die dann gestorben ist, und Claire war so betrübt, dass ich nicht richtig arbeiten konnte. Aber jetzt ist das anders, ich bin richtig frisch«, behauptet er.
»Du siehst aber nicht frisch aus. Du gleichst einem Alkoholiker. Du isst nichts, sitzt aber jeden Abend in der Bar und besäufst dich, und deine Familie hat kein Geld.«
» Tsk «, erwidert er. »Du bist auch kein Heiliger, Christian. Du nutzt Menschen aus. Hier bist du in meinem Land, sogar ohne Erlaubnis und ohne die richtigen Papiere. Aber ich habe Papiere. Ich habe sämtliche alten Rechnungen des Roots-Rock-Ladens, weil du kontrollieren wolltest, wie viele Kassetten Marcus heute überspielt hat. Damals wolltest du jeden Schilling klauen, den ich verdient habe, um deine Discoausrüstung ins Land zu bringen. Und das war eine große Lüge, denn die Anlage war, so, wie ich es arrangiert hatte, über die Kirche gekommen und stand längst in deinem Haus. Die Rechnungsbücher wurden mit deiner Handschrift geschrieben, und ich habe sie bei mir. Wenn ich will, kann ich direkt zur Polizei gehen und sagen: Dieser weiße Junge ist hier illegal, ohne Arbeitserlaubnis, ohne Aufenthaltserlaubnis, ohne Rechte. Und er betreibt ein großes Discogeschäft in Moshi, ohne einen Schilling Steuern zu bezahlen.«
Marcus schweigt. Er sieht mich an. Das ist Erpressung. Wenn ich ihn mit ins Geschäft nehme, ist alles gut. Wenn nicht … vielleicht zeigt er mich an.
»Damit beeindruckst du mich nicht«, sage ich und gehe.
Als ich nach Hause komme, haben wir Besuch von Matilda.
»Hast du von Anas gehört?«, erkundigt sie sich. »Kommt er bald wieder nach Tansania?«
»Er ist gerade erst abgereist.«
»Vielleicht kann er mir ein Ticket schicken, mit dem ich nach Europa fliegen kann.«
»Ich habe nichts von ihm gehört.« Mist. Jetzt muss ich mir diesen Scheiß monatelang anhören. Ich habe es Rachel gesagt, sie sollte es Matilda weitersagen: Man bekommt kein Flugticket, nur weil man mit Anders vögelt. Aber Matilda hat es trotzdem getan – sie hat ihre Chance genutzt.
1988
Marcus
EIN KLEINER SCHMERZ
Claire ist nach Kenia gefahren, um die Batikproduktion der unverheirateten jungen Mädchen zu verkaufen. Ich komme zu Hause meinen bäuerlichen Pflichten nach. Das Hühnerfutter ist vermischt mit pili-pili kichaa . Ich gehe ins Hühnerhaus und hole die Futternäpfe, die ich mit der kichaa -Mischung auffülle, bevor ich die Wassernäpfe leere und dawa ya kuku hineingebe. Ich höre ein Motorrad vor dem Haus halten. Das Hausmädchen sagt, dass ich bei meinen Hühnern bin. Ibrahim kommt in den Garten, ohne Christian.
»Marcus«, sagt Ibrahim. »Wenn du Christian Probleme machst, könntest du sterben.«
»Ist er jetzt dein mzungu ?«
»Wir sind Freunde«, sagt Ibrahim. »Und du bleibst ihm vom Leib, sonst erledige ich dich.«
»Er wird auch dich bescheißen. Du wirst nicht reich. Er kann dich nicht nach Europa bringen.«
»Ich kann den mzungu lenken, ich bin nicht so weich wie du.«
»Wirklich?« Möglicherweise war Ibrahim neidisch auf mein Leben bei den Larssons, als wir zusammen zur Schule gegangen sind. Jetzt hat er sein eigenes weißes Spielzeug: Christian. Ibrahim wird lernen, dass weißes Spielzeug eine enttäuschende Unterhaltung ist.
»Die Rechnungsbücher«, sagt Ibrahim. »Ich will sie haben.«
»Du bekommst sie nicht.« Ibrahim geht mit erhobener Hand auf mich zu. »Du bist jetzt ein Sklave des weißen Mannes.« Er schlägt mir ins Gesicht. Bam . Und noch einmal, diesmal härter. PAH . Glaubt er, ich würde
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