Liberty: Roman
an die Dachsparren hängen – eine an jedem Ende des Raums. Es ist total dunkel.
Im Saal ist es heiß wie in der Hölle. Anders steht neben der Bühne, den Rücken an die Hinterwand gelehnt. Er ist zum ersten Mal in Afrika. Unglaublich, wie weiß er ist. Okay, ich bin auch weiß, wir sind die einzigen Weißen in der Nähe. Aber ich vergesse es, ich denke nicht darüber nach, aber das ist bei ihm definitiv anders – er denkt ständig daran, weil er es nicht gewohnt ist, ein Fremder zu sein. Er hat mich nicht bemerkt. Ich sehe, dass er ganz schlecht drauf ist; wohin sein Blick auch fällt, er sieht schwarz. Eine dunkle Menschenmasse in Bewegung. Es ist erstaunlich, wie ängstlich er aussieht – als wären sie Raubtiere. Ich schnappe mir zwei Bier und gehe zu ihm: »Lass uns an die frische Luft gehen.«
Wir brauchen mehrere Minuten, um uns schwitzend von der Bühne bis zum Ausgang durchzuquetschen. Draußen ist es eiskalt. Wir trinken unser Bier, und Anders raucht einen Joint – Ibrahim hat ihn mit Kraut versorgt. Hier oben auf dem Berg. Dünne Luft. Es heißt, Sex in einem Flugzeug steigert den Genuss. Auf jeden Fall steigert es die Wirkung, in der Höhe bhangi zu rauchen. Hier gibt es so gut wie keinen Sauerstoff mehr. Wir schwitzen, und der Schweiß kühlt sich ab, das Bier ist kalt.
»Bist du okay?«, erkundige ich mich.
»Ja, ja«, antwortet Anders nasal, während er den Rauch in der Lunge behält, sich hintenüberbeugt und ausatmet.
»Pass auf damit«, rate ich ihm. Er gibt mir den Joint und starrt weiterhin nach oben.
»Mann, ist das heftig«, sagt er. Ich halte den Joint in der Hand, obwohl ich nicht rauchen will, wenn ich Platten auflege. Ich schaue nach oben, um zu sehen, was Anders sieht: Die Sterne scheinen klar in dem schwarzen Leerraum, ungetrübt von Luftverschmutzung wie in europäischen Städten. Bis zum Horizont erstrecken sie sich über die gesamte Himmelswölbung. Wir sind von einer Kuppel eingefasst, und die Sterne scheinen zum Pflücken nah zu sein. Es liegt am Breitengrad, wir schauen direkt auf die Milchstraße, deren Band aus winzigen Diamanten in einem breiten nebligen Gürtel hinter den klaren Sternen hängt.
Wir gehen wieder hinein und bewegen uns durch die Menschenmenge zur Bühne. Anders zieht mich am Arm: »Christian, du weißt, wir müssen hier weg.« Er trieft vor Schweiß, die Augen sind weit aufgerissen.
»Was ist los mit dir, Mann? Komm schon – es hat hier doch gerade angefangen. Außerdem sind wir doch eben erst wieder reingekommen.«
»Nein. Ich muss einfach … ich muss einfach raus.« Anders’ Stimme zittert. Es ist früh – ungefähr zehn. »Ich muss wirklich weg hier, Mann.«
»Das ist nur der Joint, Anders.«
»Scheiße, Mann, ich schwöre – ich habe zum Eingang gesehen, und ich habe …« Er schluckt. »Ich habe Gert direkt zur Tür hereinkommen sehen.«
»Gert?«
»Den schwachsinnigen Halbbruder meines Halbvetters. Der mich mit einer toten Katze voller Milben verprügelt hat. Der eine Frau vergewaltigt und ermordet und ihr Gewehrpatronen und Einwegfeuerzeuge in die Möse gesteckt und sie abgefackelt hat, um die Spuren zu verwischen«, erklärt Anders hektisch.
»Er ist nicht hier.«
»Ich habe ihn gesehen.«
»Okay. Gehen wir an die frische Luft.« Wieder machen wir uns auf den langen Weg durch das Menschenmeer. Anders’ Augen sind aufgerissen, er transpiriert. Wir kommen heraus. Im Sternenlicht sehe ich an der Ecke des Gebäudes ein paar Jungen stehen – sie reagieren hektisch, als sie uns sehen, und rennen um die Ecke.
» Hanna shida «, sage ich – kein Problem. Vermutlich haben sie eine Flasche gongo . Ich entferne mich mit Anders ein Stück vom Gebäude. Ich höre, dass in der Nacht heiße Dinge geschehen, obwohl es saukalt ist. Ein Mädchen kichert, und eine tiefe Jungenstimme redet schmeichelnd auf sie ein. Ich fasse Anders unter die Arme, sehe ihm in die Augen. Er zittert. »Jetzt bist du mal ganz ehrlich, okay?«, fordere ich ihn auf.
»Ja, Mann.«
»Was geht hier ab?«
»Aber …«, antwortet er und schluckt, kneift die Augen fest zusammen, öffnet sie wieder. »Ich bin jetzt ein Nichts. Ich kann verschwinden … spurlos. In Dänemark war ich … das gab es … eine Ordnung.« Es ist komisch, aber ich lache nicht. »Können wir nicht einfach fahren?«
»Das Motorrad hat kein Licht, und den Wagen brauchen wir, um morgen früh die Anlage zu transportieren.«
»Dann hör auf … lass uns abbrechen …« Seine Stimme zittert.
»Du
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