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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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mit dem anderen verbunden. Die Bar des Dunes Motel lag in der glühenden Nachmittagshitze. Ein einziger Sonnenstrahl zerteilte die Finsternis im Innern. Die Orientalin lehnte an der Bar, rauchte und nickte zur Selbstbestätigung. Bekam sie eine Antwort, die ihr passte, drehte sie eine Kurbel an ihrem Apparat. Seltsame bläuliche Lichtblitze zuckten ohne erkennbaren Grund aus den Kathoden. Der Mann im Stuhl erlitt Krämpfe und schrie.
    Ed gab nach wie vor seine Abendvorstellung. Er war erschöpft. Das Publikum schrumpfte. Schließlich schaute ihm nur noch Madame Shen in einem freizügig dekolletierten smaragdgrünen Cocktailkleid zu. Ed begann zu argwöhnen, dass es ihr gar nicht um das Publikum ging. Er hatte keinen Schimmer, was sie von ihm wollte. Wollte er sie vor der Show zur Rede stellen, fand sie immer nur beschwichtigende Worte. Sie saß in der Loge, rauchte, applaudierte mit den weichen Schlägen ihrer kleinen, kräftigen Hände. »Bravo, Ed. Gut gemacht.« Danach trugen ihn zwei oder drei Bühnenarbeiter hinaus. Oder wenn Annie zufällig in der Nähe war, hob sie ihn mit einer Art zärtlichem Vergnügen auf und trug ihn in ihr Kabuff.
    »Warum tust du dir das an, Ed?«, fragte ihn Annie eines Nachts.
    Ed hustete und spuckte in den Ausguss.
    »Es ist ein Auskommen«, sagte er.
    »Oh, geradezu tolldreist«, sagte sie sarkastisch. »Erzähl mir noch mal von den Tauchschiffen, Ed, und was für hart gesottene Typen ihr wart. Erzähl mir, wie du die berühmte Pilotin gevögelt hast.«
    Ed zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, was du meinst?«
    »Doch, weißt du.«
    Wütender hätte Annie nicht aussehen können, sie ging nach draußen, sodass sie sich Luft machen konnte, ohne etwas kaputt zu machen.
    »Was weißt du über sie, Ed?«, rief sie über die Schulter nach drinnen. »Nichts. Warum verlangt sie das von dir? Was, zum Kuckuck, sollst du sehen?« Als er nicht antwortete, sagte sie: »Das ist doch nur wieder ein Tank. Ihr Twinks steckt den Kopf in jeden Scheißhaufen, nur um den Tatsachen aus dem Weg zu gehen.«
    »He, du hast mich doch überhaupt erst da hingeschickt.«
    Das ließ sie verstummen. Nach einer Weile versuchte sie es anders.
    »Die Nacht ist so schön, Ed. Lass uns über die Dünen laufen. Ab und zu müsste sie dir einfach mal eine Verschnaufpause gönnen. Dann nehm ich dich mit in die Stadt, Ed! An dem Abend mach ich dann früher Schluss und setz dich drüben ab. Oder wir gehen in eine Show.«
    »Ich bin eine Show«, sagte Ed.
     
    Dennoch machte es Sinn. Er ging jetzt öfter in die Stadt. Nachts ging er los und mied Pierpoint und Straint wie der Teufel das Weihwasser. Auf keinen Fall wollte er Tig oder Neena begegnen. Und schon gar nicht Bella Cray. Er verbrachte die Nacht in East Dub, einem Viertel, wo die engen Straßen vor lauter Rikschas erstickten und die Tankfarmen von ihren animierten Ballerpostern nach ihm riefen. Ed ließ sie links liegen. Stattdessen landete er beim Schiffsspiel, hockte auf der Straße im Geruch von Falafel und Schweiß mit Cultivaren, die doppelt so groß waren wie er. Diese Burschen waren immer gewaltbereit, wenn ihnen jemand in die Arme lief, der etwas zu verlieren hatte. Die Würfel fielen und kamen zur Ruhe… Ed zog sich ungeschoren zurück und war froh, dass sie ihn ausgenommen hatten. Sie verfolgten seinen Rückzug mit einem monströsen Grinsen, das ihre Fangzähne bis aufs Zahnfleisch entblößte. »Jederzeit, Mann.«
    Als Madam Shen dahinterkam, betrachtete sie ihn merkwürdig.
    »Ob das so klug ist?«, war alles, was sie sagte.
    »Jeder«, sagte er, »verdient eine Pause.«
    »Aber da ist immer noch Bella Cray.«
    »Was weißt du von Bella?«
    Als sie die Achseln zuckte, tat er es auch.
    »Hast du Angst vor ihr?«, sagte er. »Ich nicht.«
    »Halt die Augen auf, Ed!«
    »Ich pass schon auf«, sagte er. Doch Bella Cray hatte ihn längst im Visier.
    Eines Nachts folgten ihm zwei Burschen, die mit ihren apricotfarbenen und locker um die Schulter geknoteten Pullovern wie Angestellte aus den Enklaven aussahen. Er führte sie eine halbe Stunde lang an der Nase herum, durch krumme Gassen und Arkaden, dann, als er schon fast vorbei war, flitzte er in eine Falafelbude und wieder zum Hinterausgang hinaus.
    Hatte er sie abgehängt? Sicher war er sich nicht.
    Am Tag darauf trieben sich zwei Burschen auf dem Beton des freien Raumhafens herum. Ed glaubte zumindest, dass es die vom Abend vorher waren. Es war Mittag, weißer Glast loderte über dem Beton und die beiden

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