Licht
Selbstaufgabe demonstrierten, als sei der Tod kein Dauerzustand, wohl aber das Herzeleid. Der Sarg hatte bündelweise Infusionsdocks und einen schweren Deckel mit Scharnieren – unmöglich von innen zu öffnen, als habe man immer schon befürchtet, sie könne herauswollen. Sie befand sich darüber, darinnen und auch dahinter: Sie befand sich in den winzigen Bordkameras, die wie Staub durch jeden Lichtstrahl fielen. Während sie zusah, beugte sich der Oberkörper von Dr. Haends langsam ins mittlere Fenster. Das weiße Hemd war frisch gestärkt; das pechschwarze Haar glänzte vor Pomade. Als Dr. Haends sich so weit in ihr Gesichtsfeld gebeugt hatte, wie er konnte, zwinkerte er ihr zu. Diesmal, anstatt die Verbeugung rückgängig zu machen, warf er ein langes elegantes Bein über die Fensterbank und kletterte in den Raum.
»Nein«, sagte Seria Maú.
»Ja«, sagte er.
Mit zwei großen Schritten war er bei ihr und riss den Deckel auf.
»Nein!«, sagte sie.
Was von ihr übrig war, zappelte und schlug, sodass die Suspension, in der sie hing – dick und träge wie Schleim, um die Newton’schen Kräfte zu absorbieren, gegen die auch ein K-Schiff nie ganz gefeit war –, überschwappte und auf seine Lacklederschuhe platschte. Dr. Haends nahm keine Notiz davon. Er langte hinein und hob sie heraus. Über die Mikrokameras sah sie sich zum ersten Mal in fünfzehn Jahren. Sie war dieses kaputte, gelbliche Ding, dessen Glieder in falsche Richtungen zeigten, das sich kraftlos krümmte und streckte an der schmerzenden Luft. Was sie als verzweifelten Entsetzensschrei hörte, war nicht mehr als ein schwaches, raues Stöhnen. Die Haut spannte sich wie die gebräunte, konservierte Haut einer Moorleiche. Kein Fleisch zwischen ihr und den Knochen darunter. Die welken Lippen zogen sich von kleinen, ebenmäßigen Zähnen zurück. Die Augen funkelten aus teerschwarzen Höhlen. Als sie die dicken Kabel sah, die aus den Schlüsselstellen der seitlich verkrümmten Wirbelsäule hingen, erstarrte sie vor Ekel. Das Ding tat ihr unsäglich Leid. Sie schämte sich unsäglich. Das war der eine Grund, warum sie sich so wehrte: Sie wollte einfach nicht, dass er sie so sah. Dann, als sie sah, was er tat, wehrte sie sich auch deswegen.
Er hatte das Schiff gelandet. Die Frachtrampe war ausgefahren. Er brachte sie nach draußen. Panik überschwemmte sie, Panik und das Licht des Kefahuchi-Trakts. Was sollte aus ihr werden, wenn sie nicht mehr die White Cat war?
»Nein! Nein!«
Hoch über ihr pulsierte der Trakt.
»Hier ist keine Luft«, jammerte sie. »Hier ist keine Luft.«
Der Himmel war ein einziges, grandioses Inferno.
»Das überstehen wir nicht! Darin kann man nicht leben!«
Doch Dr. Haends schien unbesorgt. Draußen auf der Oberfläche zwischen seltsamen niedrigen Erhebungen und im Meer der Zeit versunkenen Artefakten traf er seine Vorbereitungen zur Operation. Die weißen Handschuhe übergestreift. Die Ärmel hochgekrempelt. Während ihm aus Augen und Mund der weiße Schaum des K-Code quoll, um aus nichts als Staub die erforderlichen Instrumente zusammenzusetzen. Dr. Haends sah auf. Er streckte eine Hand aus, Handfläche nach oben, als wolle er prüfen, ob es regne. »Kein Bedarf für zusätzliche Beleuchtung!«, entschied er.
Seria Maú weinte.
»Ich sterbe! Wie willst du mir hier einen neuen Körper machen?«
»Vergiss deinen Körper.«
Sie mussten schreien, um sich im lautlosen Toben des Trakts zu verständigen. Seine Frackschöße flatterten im Partikelwind. Er lachte. »Ist es nicht verblüffend, überhaupt am Leben zu sein?« Huschig und tanzend wie aufgeregte Fischschwärme strömten die Schattenoperatoren aus dem Schiff.
»Sie wird schon wieder«, riefen sie einander zu. »Sie wird schon wieder.«
Dr. Haends hob sein Besteck.
»Vergiss dich«, verlangte er. »Du kannst jetzt sein, was du bist.«
»Wirst du mir wehtun?«
»Ja. Vertraust du mir?«
»Ja.«
Eine ganze Weile danach – es mochten Minuten oder Jahre vergangen sein – wischte sich Dr. Haends die Ziffern von der Stirn und trat von seiner Arbeit zurück. Sein Abendanzug hatte ein wenig gelitten. Die Arme waren blutig bis zu den Manschetten des Leinenhemds. Das Besteck, das zu Anfang vom Feinsten gewesen war, erschien ihm nun stumpf und für chirurgische Zwecke kaum noch geeignet. Er schüttelte den Kopf. Es war nicht einfach gewesen, wie er jetzt einräumte, sogar für ihn. Thermodynamisch gesehen war das der teuerste Job gewesen, den er je gemacht hatte.
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