Licht

ein hauchzarter Kringel aus weißlichem Licht, fiel zurück. Über zwei, drei Stunden purzelte das Schiff außer Kontrolle durch die Leere. Dann stach die Fusionsflamme kurz in den Raum, und die White Cat gehorchte dem nichtverbalen Befehl, schüttelte sich und ließ sich in den Orbit um das nächstbeste große Objekt fallen.
    Kurz danach wachte Seria Maú Genlicher auf.
    Sie war wieder in ihrem Tank. Es herrschte tiefes Dunkel. Sie fror. Sie war verstört.
    »Displays!«, befahl sie.
    Keine Reaktion.
    »Gibt es sonst noch was außer mir?«
    Stille. Sie bewegte sich nervös. Das Proteom fühlte sich leblos und schlabbrig an.
    »Displays!«, sagte sie.
    Diesmal spielte die Kommunikation visuelle Sequenzen ein, verzerrt, sprunghaft, überlappend und bunt gescheckt von Interferenzen.
    Ausgestreckt am Boden im Menschenquartier eines K-Schiffs lag ein großes weißes Objekt, das die präzise kreisenden Nanokameras als teilweise verstümmeltes menschliches Wesen identifizierten. Die Kleidung, die ihm Gravitationskräfte vom Leib gerissen hatten, lag wie nasse Wäsche in die Ecken geklatscht, unter anderem auch ein Arm. Die Wände waren verschmiert und gerötet. Das zweite Display zeigte Onkel Sip, der Akkordeon spielte, während sein Schiff einen unendlichfachen Salto durch das Wurmloch schlug. Lauter als die Musik hörte man den Piloten »Scheiße. O Jesus, Scheiße«, schreien. Auf dem dritten Display war Onkel Sips Mund in Großaufnahme zu sehen, der immerzu die Worte wiederholte: »Wir kommen hier raus, wenn wir nur einen kühlen Kopf bewahren.«
    »Warum zeigst du mir das?«, sagte Seria Maú.
    Das Schiff schwieg. Dann sagte es urplötzlich: »Das alles passiert gleichzeitig. Das sind Echtzeiteinspielungen. Was immer mit ihm da drinnen passiert ist, es passiert immer noch. Es wird so weitergehen.«
    Onkel Sip starrte aus dem Display auf Seria Maú.
    »Hilfe«, sagte er.
    Er übergab sich.
    »Das ist eigentlich ganz interessant«, sagte die Mathematik.
    Seria Maú sah noch einen Moment lang hin. Dann sagte sie: »Ich will hier raus.«
    »Wohin willst du?«
    Sie machte hilflose Bewegungen. »Nein, hier will ich raus.«
    Und dann, als eine Antwort ausblieb: »Es hat nicht funktioniert, wie? Ich meine das, was passiert ist, bevor du mich eingeschläfert hast. Ich dachte, ich hätte den Zauberer gesehen, aber das war nur wieder ein Traum. Ich dachte…« Sie fühlte sich wie eine Dreizehnjährige, die mit den Achseln zucken will. Die Flüssigkeit im Tank schwappte träge hin und her. Seria Maú dachte an warme Spucke, die ihren Torso umspülte. An fünfzehn Jahre der Verzweiflung. »Ich dachte, dachte, dachte… egal, was ich dachte. Ich bin jetzt so verdammt müde. Ist mir egal, was ich tue. In bin es leid. Ich will nach Hause und dass das alles nicht wahr ist. Ich will wieder leben.«
    »Soll ich dir was sagen?«, sagte die Mathematik.
    »Was denn?«
    »Display!«, sagte die Mathematik und der Kefahuchi-Trakt schlug wie eine Blendgranate in ihren Kopf.
    »So sieht die Welt wirklich aus«, sagte die Mathematik. »Wenn du meinst, die Welt sähe aus wie in Schiffszeit, dann hast du dich geschnitten. Wenn du meinst, Schiffszeit sei Weltzeit, bist du auf dem Holzweg: Schiffszeit ist gar nichts. Siehst du das? Das ist nicht bloß irgendein ›exotischer Zustand‹. Das sind Lichtjahre aus blauem und rosarotem Feuer, die aus dem Nichts heranbrausen und in echter Menschenzeit weiterstürmen. So läuft das. Und so bist du gestrickt.«
    Seria Maú lachte verbittert.
    »Sehr poetisch«, sagte sie.
    »Sieh in das Feuer«, verlangte die Mathematik.
    Sie gehorchte. Über ihr toste und seufzte der Trakt.
    »Ich kann dir deinen Körper nicht zurückgeben«, sagte die Mathematik. »Du hattest dieses Feuer in dir, aber du hattest Angst davor. Was du mit dir hast machen lassen, ist unwiderruflich. Geht das in deinen Kopf?«
    »Ja«, sagte sie leise.
    »Gut. Aber das ist noch nicht alles.«
    Im nächsten Augenblick schien sich der Trakt auf drei hohe Bogenfenster aufzuteilen, die in einer Wand saßen, die mit grauen Satinrüschen verkleidet war. Sie befand sich im Schaufenster des Zauberladens. Zur selben Zeit befand sie sich in ihrem Tank in der White Cat.
    Sie begriff, dass es sich dabei schon immer um ein und denselben Ort gehandelt hatte. Sie sah ihren Tank, ein EMC-Patent auf den Herzenswunsch einer Dreizehnjährigen: ein Sarg, verziert mit lauter goldenen Reliefs von Elfen, Einhörnern und Drachen, die allesamt pausenlos heroische