Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
Vom Netzwerk:
ich…«
    Er hatte sich umgedreht und sah, wie Tate die Stufen heraufkam, innehielt, nach links und rechts blickte und sich mit raschen Schritten Richtung Gower Street entfernte. »Brian!«, rief Kearney. Das Handy kreischte unter der Lautstärke. Er unterbrach die Verbindung, rannte hinter Tate her und brüllte »Brian! Ich bin’s« und »Brian, was, zum Teufel, ist los mit dir?«
    Tate reagierte nicht. Er stopfte die Hände in die Taschen und zog den Kopf ein. Inzwischen regnete es heftiger. »Tate!«, rief Kearney. Tate blickte über die Schulter, erschrak und begann zu laufen. Bis Kearney ihn am Bloomsbury Square eingeholt hatte, waren sie beide außer Atem. Kearney packte Tate bei den Schultern der grauen Snowboarderjacke und riss ihn herum. Tate tat einen keuchenden Schluchzer.
    »Lass mich in Ruhe«, sagte er und stand da, gab sich geschlagen, das Wasser strömte ihm übers Gesicht.
    Kearney ließ ihn los.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte er. »Was ist los?«
    Tate rang noch nach Luft, als er die Geste machte. »Du stehst mir bis hier«, sagte er atemlos.
    »Was?«
    »Ich bin es leid mit dir. Ich habe es satt, verstehst du? Wir wollten die Sache zusammen durchziehen. Aber du bist nie da, du meldest dich nicht und jetzt will dieser dämliche Gordon neunundvierzig Prozent von uns an eine Handelsbank verkaufen. Von finanziellen Dingen verstehe ich nichts. War auch nie meine Absicht. Wo warst du in den letzten vier Wochen?«
    Kearney nahm ihn bei den Unterarmen.
    »Sieh mich an«, sagte er. »Alles ist in Ordnung.« Er zwang sich zu lachen. »Jesus, Brian«, sagte er. »Du bist manchmal eine harte Nuss.« Tate musterte ihn verdrießlich, dann lachte er auch.
    »Weißt du was?«, sagte Kearney. »Lass uns auf einen Drink in den Lymph Club gehen.«
    Doch Tate war so leicht nicht umzustimmen. Er hasse den Lymph Club, sagte er. Außerdem gebe es genug Arbeit. »Weißt du was? Wir gehen jetzt zusammen ins Labor zurück.«
    Kearney erlaubte sich ein Lächeln und willigte ein.
    Die Suite roch nach Katzen, verdorbenen Nahrungsmitteln und Giraffe-Bier. »Die meisten Nächte schlafe ich hier am Boden«, entschuldigte sich Tate. »Ich habe nicht mal Zeit, nach Hause zu gehen.« Unter seinem Arbeitsplatz stöberten die Katzen in einem Wust aus Burgerschachteln. Ihre Köpfe fuhren hoch, als Kearney hereinkam. Der Kater war im Nu bei ihm und scharwenzelte um seine Füße, doch die Katze blieb, wo sie war, setzte sich und wartete, wobei das Licht eine transparente Korona aus dem weißen Fell zauberte. Kearney fuhr ihr mit der Hand über den kleinen spitzen Kopf und lachte.
    »Ein Haus voller Primadonnen.«
    Tate sah verwirrt drein. »Sie haben dich vermisst«, sagte er. »Aber komm mal mit.«
    Er hatte die normale Lebensdauer eines Qubits auf das Acht- und Zehnfache gesteigert. Sie räumten ganz hinten im Raum den Abfall rings um den niedrigen Schrank beiseite und setzten sich vor einen der großen Flachbildschirme. Die Katze schlich mit aufgestelltem Schwanz umher oder hockte auf Kearneys Schulter und schnurrte ihm ins Ohr. Die Testergebnisse entwickelten sich nacheinander wie Schübe synaptischer Aktivität im dekohärenzfreien Raum. »Es ist kein Quantencomputer«, sagte Tate, nachdem Kearney ihm gratuliert hatte, »aber ich glaube, momentan sind wir dem Kielpinski-Team um eine Nasenlänge voraus. Verstehst du jetzt, warum ich dich hier brauche? Ich will nicht, dass Gordon uns in dem Augenblick verramscht, wo man uns alles zahlt, was wir haben wollen.« Er langte nach der Tastatur. Kearney hielt ihn auf.
    »Was ist mit der anderen Sache?«
    »Welcher anderen Sache?«
    »Die Störung in dem Modell oder was das war.«
    »Ach das«, sagte Tate. »Na ja, ich hab alles damit angestellt.« Er tippte ein paar Tasten. Ein neues Programm startete. Polarblaues Licht huschte über den Schirm; die Orientalin auf Kearneys Schulter versteifte sich; dann erblühte vor ihnen das besagte Testergebnis, während das Beowulfsystem mit der Raumsimulation begann. Diesmal war die Illusion viel langsamer und deutlicher. Irgendwo hinter dem Code raffte sich etwas zusammen, um gleichsam vor ihm aufzusprießen – auf dem ganzen Schirm. Millionen farbiger Lichter, schäumend und Haken schlagend wie ein verstörter Fischschwarm. Die weiße Katze stürzte sich so heftig von Kearneys Schulter auf den Schirm, dass das Gerät verrutschte. Bestimmt eine halbe Minute lang strömten und ruckten die Fraktale über den Schirm. Dann war mit einem Mal alles

Weitere Kostenlose Bücher