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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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mir musst du nicht gehen.« Plötzlich kehrte sie beiden Männern den Rücken zu und machte sich am Herd zu schaffen. »Mach einer Licht«, sagte sie. »Es ist kalt hier.«
    »Sie können euch keine Kinder machen«, sagte Tig .
    Ihre linke Schulter schien aus eigenem Antrieb zu zucken. »Willst du Nudeln?«, fragte Neena. »Wir haben nämlich nichts anderes.«
    Inzwischen hatte sich Eds Puls beruhigt, seine Konzentration war zurückgekehrt und das Gehege machte wieder Geräusche. Zunächst klang alles ganz normal – das Quengeln von Kindern, Holo-Soundtracks, Klappern, Scheppern, Alltagsgeräusche eben. Dann vernahm er lautere Stimmen. Schreie, die näher kamen. Dann zwei, drei laute, dumpfe Detonationen.
    »Was ist das?«, fragte Ed. »Da laufen welche. Hört ihr?«
    Neena blickte Tig an. Tig blickte Ed an. Die drei blickten von einem zum anderen.
    »Das sind die Cray-Schwestern«, sagte Ed. »Sie kommen wegen mir.«
    Neena widmete sich wieder dem Herd als ginge sie das alles nichts an.
    »Willst du Nudeln?«, fragte sie ungeduldig.
    Ed sagte: »Her mit der Kanone, Tig.«
    Vesicle öffnete etwas, das aussah wie ein Fliegenschrank, und nahm die Waffe heraus. Sie war in einen Lappen gewickelt. Er wickelte sie aus, besah sie einen Augenblick und reichte sie Ed.
    »Was sollen wir machen?«, flüsterte er.
    »Wir hauen hier ab«, sagte Ed.
    »Und was wird aus den Kindern?«, schrie Neena plötzlich. »Ich lass doch meine Kinder nicht im Stich.«
    »Ihr könnt später zurückkommen«, erklärte Tig. »Hinter mir sind sie her.«
    »Wir haben noch nichts gegessen!«, sagte Neena.
    Sie hielt sich am Herd fest. Schließlich konnten sie sie losreißen und machten sich durch das Gehege in Richtung Straint Street davon. Es sollte ewig dauern. Sie stolperten über abgestreckte Glieder durchs bläuliche Halbdunkel. Sie konnten immer nur ein paar Schritte laufen. Neena tat alles, um abgehängt zu werden, und wollte immer wieder die falsche Richtung einschlagen. Immer wenn sie in ein Kabuff platzten, stießen sie irgendetwas oder irgendjemanden um. Jedes Kabuff schien mit jedem anderen verbunden zu sein. Wenn das Gehege dem Irrgarten eines billigen Albtraums ähnelte, dann passte die Verfolgungsjagd genau ins Konzept: Ein ums andere Mal schien sie abzuflauen, nur um Ed keine Atempause zu gönnen und gleich wieder aufzuflammen, aus einer anderen Richtung und heftiger als zuvor. Es entwickelte sich eine Schießerei, die sich entfernte und ausdünnte. Man hörte Schreie und Detonationen. Wer schoss auf wen inmitten der Echos in einem rauchgeschwängerten Kabuff? Bewaffnete Minipunks in Lackmäntelchen. Einwegcultivare mit dreißig Zentimeter langen Stoßzähnen. Silhouetten von Männern, Frauen und Kindern, die mit Marionettenbewegungen vor dem plötzlichen Mündungsfeuer auseinander stoben. Neena Vesicle blickte zurück. Ein Schauder durchlief sie. Sie lachte mit einem Mal.
    »Ich bin ewig nicht mehr so gelaufen«, schnaufte sie.
    Sie schnappte sich Eds Arm. Ihre Augen, lebhaft und leicht schielend vor Aufregung, fanden die seinen. Ed kannte das. Er lachte zurück.
    »Ruhig Blut, Kleines«, sagte er.
    Kurz darauf wurde das Licht grauer. Die Luft wurde kälter. Sie zerstreuten jemandes Abendessen über den Boden – Ed gewahrte einen Bogen aus Flüssigkeit, ein Keramiknapf kreiselte wie eine Münze auf der Kante, in einem Holo-Display glitzerte der Kefahuchi-Trakt zu getragener Orgelmusik – im nächsten Augenblick waren sie draußen auf der Straint Street, keuchend und einander ins Kreuz klopfend.
    Es schneite wieder. Straint, ein Gesichtsfeld aus Mauern und Straßenlaternen, erstreckte sich vor ihnen wie ein Canon voller Konfetti. An den Wänden hingen politische Plakate, die lose im Wind schlappten. Ed fröstelte. Funken, dachte er plötzlich: In allem waren Funken. Mist, dachte er.
    Ein paar Atemzüge später begann er zu lachen.
    »Wir haben es geschafft«, sagte er.
    Auch Tig Vesicle begann zu lachen. »Was sind wir?«, fragte er.
    »Wir haben es geschafft«, sagte Neena versuchsweise. Sie wiederholte es noch ein, zweimal. »Wir haben es geschafft«, sagte sie.
    »Du ganz bestimmt, meine Liebe«, pflichtete ihr Bella Cray bei.
    Ihre Schwester sagte: »Wir konnten uns denken, dass ihr hier rauskommt.«
    »Um ehrlich zu sein, haben wir fest damit gerechnet, meine Liebe.«
    Die beiden standen mitten auf der Straße im wirbelnden Schnee, wo sie schon die ganze Zeit gewartet hatten. Sie waren komplett geschminkt und hielten die

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