Licht über den Klippen
ein.
»Felicity ist ein Schmetterling und erst seit ein paar Jahren hier;
wer weiß, wann sie wieder geht.«
»Ja, ja, deine berühmte Theorie von den Schmetterlingen. Sie hat nur
einen kleinen Haken.«
»Und der wäre?«
»Sie ist Blödsinn.«
»Und du meinst, du kannst das beurteilen.«
»Ich weiß jedenfalls, dass das Leben zu kurz ist, um sich nach
dummen Theorien zu richten. Wenn man das Glück hat, jemanden zu finden, der
einen liebt, sollte man diese Liebe zulassen, egal, zu welchen Bedingungen.«
Daniels Worte kamen mir in den Sinn. »Die Zeit, die einem mit einer geliebten
Person vergönnt ist, sollte …« Mir traten Tränen in die Augen.
»Sollte was?«, hakte Mark nach.
»Sollte einem genügen«, presste ich hervor.
Dann wandte ich mich ab, weil ich keine Lust hatte, mich weiter mit
ihm zu streiten. Ich war kaum zehn Schritte gegangen, als Mark rief: »Eva?«
Ich drehte mich um.
»Liebe ist nicht alles.«
»Doch, und das weißt du auch. Sie allein zählt. Ich kann es nicht
mitansehen, wie du sie einfach wegwirfst.«
Seit meiner Rückkehr in meine eigene Zeit hatte ich es
bewusst vermieden, weiter in Jacks Tagebuch zu lesen, obwohl es nach wie vor
auf meinem Nachtkästchen lag. Doch nach meinem
Gespräch mit Mark wurde meine Sehnsucht nach Daniel so stark, dass ich die
Vorhänge zuzog, mich voll bekleidet aufs Bett legte und nach dem Band griff.
Ich konnte ja jederzeit aufhören, sagte ich mir, und musste nicht
mehr lesen als das, was ich bereits erlebt hatte. Ich schlug das Tagebuch an
der Stelle auf, die ich von der Sally kannte. Da war er, der letzte Absatz, und …
Ich hielt verblüfft inne.
Denn danach kam nichts mehr. Nichts von Jack Geschriebenes
jedenfalls. Der Herausgeber der Memoiren hatte so etwas wie eine Entschuldigung
angefügt:
Jack Butlers eigener
Bericht endet hier. Es folgen die Ausführungen des Reverend Mr Simon über den
Nutzen dieses Tagebuchs als moralische Lektion für junge Männer, die sich
versucht fühlen, dem Pfad der Verderbnis zu folgen. Sie sollten gewärtig sein,
dass Jack Butler, der sowohl dem irdischen König als auch dem Herrscher über
alle Menschen den Rücken kehrte, ein frühes Ende fand. Ein Ende, das einem
Hochverräter gebührt, denn es ereignete sich am ersten Jahrestag der Thronbesteigung
des guten King George I., den er so sehr verachtete. Er starb auf der Flucht
vor den Gesetzeshütern von Polgelly und ihrem Constable durch einen gezielten
Pistolenschuss und musste in Ungnade vor seinen Schöpfer treten.
»Nein.«
Daniel hatte recht: Die Worte waren bereits geschrieben, gedruckt
lange vor meiner Geburt, und kein noch so sehnlicher Wunsch konnte sie ändern.
»Pech«, lautete Olivers Kommentar zu Jack Butlers Tod. Mit
schräg gelegtem Kopf versuchte er, sich an den geschichtlichen Kontext zu
erinnern. »Wenn es am Jahrestag von King Georges Thronbesteigung war, bedeutet
das, dass er gestorben ist im …«
»August. Genauer gesagt, am ersten August«, führte ich seinen Satz
zu Ende. »Das habe ich recherchiert.«
»Aha.« Oliver beobachtete mich vom Schreibtisch in Onkel Georges
Arbeitszimmer aus bei der Arbeit. Es war Samstag. Eigentlich hatte er beim
Putzen der Gewächshausfenster vor der Eröffnung der Teestube in der folgenden
Woche helfen wollen, dann aber irgendwie den Weg zu mir gefunden. Es störte
mich nicht. Im Gegenteil: In meiner gegenwärtigen Gemütsverfassung war mir
seine Gesellschaft sogar willkommen.
»Du nimmst dir diese Geschichte wirklich zu Herzen, nicht wahr?«,
fragte er. »Vielleicht hätte ich dir das Buch nicht besorgen sollen.«
Natürlich konnte ich ihm nicht sagen, warum Jacks Tod mich so
deprimierte. »Ich finde es nur einfach ungerecht, wie er umgekommen ist.«
»Lass dich durch ein Mittagessen mit mir ablenken«, schlug er vor.
»Geht nicht. Ich muss die Pressemitteilung fertig machen.« Ich
suchte seufzend in den Papieren neben dem Computer herum. »Vorausgesetzt, ich
finde meine Notizen wieder. Du weißt nicht zufällig, wie der große Preis hieß,
den Trelowarth in den sechziger Jahren gewonnen hat, oder?«
»Tut mir leid, nein. Mark weiß es bestimmt, aber der kommt erst
spätabends wieder.«
Ich hob den Blick. »Wo ist er denn?«
»In Falmouth bei der Kunstausstellung. Mit Fee.«
»Mark begleitet sie?« Ich sah Oliver ungläubig an. »Bist du sicher?«
»Weißt du, dass ich dich heute zum ersten Mal lächeln sehe?«
»Tatsächlich? Sorry. Ich bin ein bisschen
Weitere Kostenlose Bücher