Licht über den Klippen
Mark.
»Stimmt. Das hab ich heute Morgen gefunden. Es war in einer Kiste,
die ich vergangenes Jahr bei einer Haushaltsauflösung erstanden habe und die
seitdem hinter meinen Bücherregalen verstaubt.«
»Was für ein Buch?«, erkundigte sich Felicity.
»Ein farbig illustrierter Führer für diese Gegend. Darin sind Leute
erwähnt, für die Eva sich interessiert, weil sie für Susan bekannte
Persönlichkeiten aus Trelowarth aufspüren möchte. Die Butler-Brüder waren
berühmt-berüchtigte Schmuggler, beliebt bei den Menschen hier, heißt es in dem
Buch. Für sie waren sie so etwas wie Helden.«
»Wie die Carter-Brüder in Prussia Cove?«, fragte Mark.
»Genau. Aber die erschienen erst Jahre später auf der Bildfläche.
Sie waren noch nicht mal auf der Welt, als die Butlers von Polgelly aus
schmuggelten.« Oliver, der seine letzten Pommes verspeist hatte, zerknüllte das
Papier. »Eva hat mich auf ihre Fährte gesetzt. Zuvor hatte ich noch nie von den
Butlers gehört.«
Felicity sah ihn an. »Ein Wunder, dass du das Buch überhaupt
gefunden hast, wenn es in einer Kiste hinter den Regalen war.«
»Eva hat mir gestern Fragen über die Butlers gestellt, und heute
Nacht war Zeit zum Suchen.«
»So, so«, sagte Felicity mit einem wissenden Lächeln.
»Solltest du nicht langsam wieder zurück ins Geschäft?«, erkundigte
sich Oliver.
»Fünf Minuten hab ich noch. Möchte mich vielleicht einer von euch
großen, starken Männern begleiten? Ich habe gerade Bilder von einer Künstlerin
gekriegt – sie sind riesig, und ich bräuchte Hilfe beim Aufhängen.«
Oliver wirkte nicht eben begeistert. »Mark hat mehr Muskeln als ich.
Während ihr euch damit beschäftigt, zeige ich Eva das Buch.«
Felicitys Plan ging auf.
Ich blickte ihnen nach. »Es macht Spaß, mit ihr zusammen zu sein.«
»Stimmt.« Oliver sah mich an. »Ein geschicktes Manöver.«
»Was?«
»Dass du Fee zum Lunch mitgebracht hast. Und Mark. Dir dürfte
aufgefallen sein, dass sie sich in ihn verguckt hat.«
»Ich war hier wohl nicht die Einzige, die manövriert hat, oder?«
Er grinste. »Ich habe schon genug Bilder aufgehängt. Und Mark ist
tatsächlich der Stärkere von uns beiden.«
Ich schwieg einen Moment. »Oliver …«
»Ja?«
»Ich mag dich.«
»Aber?«
»Ich möchte nicht, dass du glaubst, ich wäre … Weißt du, ich suche
nicht …«
Oliver grinste. »Hey. Ich will dir bloß ein Buch zeigen, nicht meine
Briefmarkensammlung.« Er sprang von der Hafenmauer und streckte die Hand aus.
»Komm mit und schau dir an, was ich gefunden habe.«
Er konnte mich nicht täuschen: Ich würde es nicht schaffen, ihn zu
entmutigen. Männer wie Oliver ließen sich nicht so leicht vom Kurs abbringen.
Auch nicht von einem Rivalen.
Was hatte ich da gerade gedacht? War das mein Ernst? Egal, wie ich
die Sache betrachtete: Es war die Wahrheit.
Oliver, der nicht ahnen konnte, dass mich diese Erkenntnis wie ein
Blitzschlag getroffen hatte, erkundigte sich, ob ich bereit sei, und ich nickte
benommen.
Er hatte das Buch auf den Arbeitstisch im Lagerraum des Museums
gelegt, der sich neben der kleinen Küche mit Wasserkessel, einigen Schrankfächern
und einer winzigen Spüle befand.
In dem Lagerraum, in dem es nach Staub roch, drängten sich Regale
und Kisten. Allerdings gab es darin auch ein Leselicht sowie einen alten
Kapitänsstuhl aus Holz, der sich als ziemlich bequem erwies.
Ich versuchte, mich trotz meiner Verwirrung auf den Band zu
konzentrieren.
Es handelte sich um ein altes Buch mit abgegriffenem Einband, dessen
Rücken so kaputt war, dass sich ganze Seitenbündel lösten, als ich zu der
Stelle blätterte, die Oliver für mich markiert hatte.
Er stellte sich hinter mich und zeigte mir die interessanten
Passagen. »Da, siehst du? Unter dem Absatz über Cripplehorn.«
Ich hatte bereits begonnen, den Text zu lesen:
Am westlichen Ende des
Strandes befindet sich ein Felsen, den die Einheimischen Cripplehorn nennen. Er
misst am höchsten Punkt fast dreißig Meter und bildet, über die Klippen
hinausragend, einen Wellenbrecher. Auf der östlichen Seite vereinigen sich zwei
Bäche zu einem Wasserfall, der bisweilen zu einem bloßen Rinnsal verkümmert,
dann aber wieder zu einem Katarakt anschwillt, zum Strand hinunterbraust und
die unterschiedlichsten Pflanzen auf dem Felsen gedeihen lässt …
Nach einer ausführlichen Beschreibung dieser Pflanzen
sowie einiger auf dem Cripplehorn nistenden Vogelarten fuhr der Autor fort:
Am Fuß des
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