Licht über den Klippen
Wasserfalls
verbirgt sich eine schmale Höhle, die sich oberhalb der höchsten Flutmarke
befindet. Angeblich wurde sie früher von den Butler-Brüdern aus dem nahe
gelegenen Trelowarth für die Lagerung geschmuggelter Waren genutzt. Noch heute
behaupten die Einheimischen voller Stolz, dass nie ein Dorfbewohner dieses
Versteck verraten habe. – So angesehen waren die Butlers ihrer Großzügigkeit
bei der Verteilung ihres ungesetzlich erworbenen Reichtums wegen. Über ihre
Abenteuer berichtet ein Tagebuch, das der jüngere der Brüder unter dem Titel Ein
Leben hart am Wind veröffentlichte. Wendet
man sich in Richtung Westen, begegnet man einer Vielzahl verschiedener Vögel …
Mehr fand ich in dem Buch, dessen Verfasser sich
hauptsächlich in Schilderungen von Vögeln, Pflanzen und Felsformationen erging,
nicht über die Butler-Brüder. Ich las den relevanten Text noch einmal, um
sicher zu sein, dass ich nichts Interessantes übersehen hatte, und wandte mich
dann zu Oliver um. »Das Tagebuch von Jack Butler …«
»Ja. Ein Leben hart am Wind .
Ganz schön poetisch für einen Piraten. Ich habe recherchiert, konnte aber nur
zwei Ausgaben ausfindig machen, beide in amerikanischen Bibliotheken. Was nicht
heißt, dass es keine anderen gäbe. Wenn du ein bisschen Geduld hast, suche ich
weiter.«
»Wann wurde das Buch veröffentlicht?«
»1739«, antwortete er, ohne zu zögern. »Gedruckt für einen
Buchhändler am Londoner Strand.«
Es überraschte mich, dass ausgerechnet Jack, der mir nicht gerade
wie ein Schriftsteller erschienen war, ein Tagebuch hinterlassen hatte.
Aber was wäre das Leben ohne Überraschungen.
Als Mark und ich wenig später gemeinsam den Hügel bezwangen, schwieg
er, anstatt mich wie erwartet wegen meines Nachmittags mit Oliver zu necken.
Ich sah ihn von der Seite an. »Alles in Ordnung?«
»Ja, danke. Ich denk nur nach.«
»Weißt du, dass es unter dem Cripplehorn eine Höhle gibt?«
Er nickte. »Als Junge habe ich dort Piraten gespielt.«
»Mich hast du nie mitgenommen.«
»Du warst nicht alt genug. Das Runterklettern ist nicht
ungefährlich.«
»Hast du Katrina mitgenommen?«
»Einmal. Ihr hat’s nicht sonderlich gefallen. Es war ihr zu dunkel
und zu feucht. Sie mochte das Licht.«
Als wir den steilen, anstrengenden Teil des Hügels erreichten,
gingen wir schweigend und in Gedanken versunken weiter.
Erst nach einer ganzen Weile fragte ich Mark: »Bringst du mich hin?«
»Was, heute noch?«
»Gütiger Himmel, nein.« Ich schnappte nach Luft.
»Klar. Allerdings gibt’s dort nicht viel zu sehen, und die Kletterei
ist wesentlich anstrengender als das hier.«
»Kein Weg kann schlimmer sein als das hier.«
Mark schmunzelte. »Wie du meinst. Wenn du möchtest, gehen wir morgen
hin.«
»Am Mittwoch. Dann kann Felicity uns begleiten.«
»Warum sollte sie das wollen?«, fragte Mark erstaunt.
»Du Trottel.«
»Wieso?«
Ich hakte mich bei ihm unter. »Ach, nur so.«
ACHTZEHN
I n jener Nacht träumte
ich, dass Daniel Butler neben mir im Bett schlief. Ich hörte seinen
gleichmäßigen Atem, spürte seine Wärme und wie er sich neben mir bewegte.
Ich hatte das Gefühl, nicht mehr in Trelowarth zu sein. Im Zimmer
war es wärmer, und in der nächtlichen Luft lagen exotische Düfte, die ich nicht
kannte.
Als ich Daniels Gesicht musterte, schlug er die Augen auf, erblickte
mich und lächelte …
Die Vorhänge am Fenster blähten sich im kühlen Meerwind der kornischen
Küste; ich wandte halb im Schlaf den Kopf. Ich war allein.
Die Wände schienen zu atmen. Ich hätte schwören mögen, dass ich eine
Stimme hörte, nicht aus dem Zimmer nebenan, sondern in dem meinen, eine Stimme,
die nicht mit Fergal redete, sondern mit mir. Ich hörte ihn.
»Eva.«
Nicht sicher, ob ich träumte oder wachte, sagte ich: »Ich bin da.«
Nur der Wind antwortete. Es dauerte eine Weile, bis ich in tiefen
traumlosen Schlaf sank.
Am folgenden Morgen stand ich auf, bevor die Sonne die
Hügel erreichte. Unten begrüßten die Hunde mich schwanzwedelnd. Da Mark und
Susan noch schliefen und ich an die Luft wollte, um einen klaren Kopf zu
bekommen, machte ich einen Spaziergang mit ihnen.
Mittlerweile hatte ich den Gedanken akzeptiert, mich in Daniel
Butler verliebt zu haben. Doch wie ich es auch drehte und wendete: Es war aussichtslos.
Wir lebten in unterschiedlichen Jahrhunderten und würden uns vielleicht nie
wiedersehen. Und selbst wenn – wer konnte wissen, ob er für mich
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