Licht über den Klippen
sich
natürlich auf Jack – er führte sich als Helden der Erzählung ein –, doch hin
und wieder wechselte er zu einer allgemeineren Perspektive und schilderte
Ereignisse wie das Folgende:
Zu dieser Zeit
begegnete mein Bruder Daniel in London zwei Männern, die zum Militärdienst
gezwungen werden sollten. Er mischte sich ein, bewirkte ihre Freilassung und
wurde zum Lohn angeklagt. Nach mehreren Wochen in Newgate stellte man ihn vor
Gericht, wo man merkte, dass niemand gegen ihn aussagen wollte. So kam er frei
und konnte wieder zu uns stoßen …
Fergal hatte diese Episode in ihrer Auseinandersetzung am
ersten Tag meines Aufenthalts in ihrer Zeit erwähnt und Daniel daran erinnert,
dass die Kämpfe des Duke of Ormonde nicht die ihren seien und dieser sich
während Daniels Haft in Newgate nicht für ihn eingesetzt habe.
Aber offenbar brauchten die Butler-Brüder niemanden, der sich für
sie einsetzte. Sie schienen Glückskinder zu sein, wie Jacks Schilderungen von
Gefangennahmen und Fluchten vor den Handlangern Queen Annes, auch auf hoher
See, bewiesen.
Mit einer einzigen Ausnahme:
Am Ende des Sommers
erlag die Frau meines Bruders ihrer langen Krankheit und wurde zur letzten Ruhe
gebettet.
Mehr schrieb Jack nicht über den Tod von Ann oder die
Auswirkungen auf die Hinterbliebenen. Allerdings tauchte der Constable von da
an häufiger in seinen Erzählungen auf, eine dunkle Gestalt im Hintergrund.
Trotz Jacks erbärmlicher Grammatik und seiner grässlichen
Handschrift bot das Buch interessanten Lesestoff.
So interessant, dass ich, als ich in der Erwartung umblätterte,
etwas über die Unruhen während der Geburtstagsfeierlichkeiten für King George
zu erfahren, enttäuscht war, nur den Satz zu lesen, den ich bereits von meiner
ersten Lektüre kannte.
Ich blätterte weiter, um sicher zu sein, dass wirklich nichts mehr
folgte, und klappte das Buch mit Bedauern zu. Nun ja, dachte ich. Immerhin
wartete die Endfassung in meiner eigenen Zeit auf mich.
Ich wollte gerade aus der Hängematte aufstehen, als die Sally sich plötzlich hob, wie von
einer großen Welle seitlich getroffen. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass
die Heckfenster sich verdunkelten. Fest an die Hängematte geklammert, drehte
ich mich um und sah, wie der Rumpf eines anderen Schiffs bedrohlich nah
vorbeiglitt, so nah, dass ich die vergoldeten Ornamente an den Stückpforten
erkennen konnte.
Voller Panik schwang ich die Beine über den Rand der Hängematte.
Aus den Heckfenstern konnte ich nur das schwarze Schiff sowie einen
schmalen Streifen des grauen Meers und des nebelverhangenen Ufers sehen, das so
weit entfernt schien, dass von dort keine Hilfe zu erwarten war. Wieder spürte
ich die Enttäuschung darüber, dass Daniel und Fergal mich aus
Sicherheitsgründen auf der Sally zurückgelassen hatten.
Das unbekannte Schiff begann ein langsames Wendemanöver, bei dem
sein Bug sich in den ablandigen Wind richtete. Am Ende lag es fast parallel zur Sally , und ich hörte nur noch
die Wellen gegen den Rumpf der Sally schlagen.
Erstaunlicherweise zeigten die drei Männer, die mit mir an Bord
geblieben waren, keinerlei Reaktion.
Mit zitternden Fingern nahm ich die Pistole, die ich fast vergessen
hatte, aus der Schublade.
Als ich sie wieder zuschob, hörte ich das gleichmäßige Platschen von
Rudern herannahen und schließlich ein Scharren auf der Steuerbordseite der Sally .
Die Pistole in der Hand, schloss ich kurz die Augen, um mich auf das
Schlimmste vorzubereiten.
Jemand kam an Bord.
EINUNDDREISSIG
D ass ich die Männer
nur hören und nicht sehen konnte, war das Schlimmste für mich, weil mein Gehirn
die Lücke mit schrecklichen Bildern aus Piratenfilmen füllte.
Als die ersten schweren Schritte die Stufen herunterkamen, hielt ich
die Pistole schussbereit in der Hand, wie Fergal es mir gezeigt hatte.
Da geschah etwas Unerwartetes: Es klopfte. Und Daniel sagte: »Eva?
Lass mich ein.«
Erleichtert, aber mit zitternden Fingern, schob ich den Riegel
zurück.
Daniel wirkte überrascht über den Anblick der Waffe. »Alles in
Ordnung?« Er drückte die Tür hinter sich zu.
»Da ist ein Schiff«, antwortete ich mit gesenkter Stimme, damit die
Mannschaft mich nicht hören konnte.
»Ja, ich weiß.« Er nahm mir die Pistole aus der Hand. »Kein Grund
zur Sorge. Dachtest du denn, ich würde dich völlig wehrlos allein lassen?«
Fast wäre mir herausgerutscht, dass ich überhaupt nicht damit
gerechnet hatte, allein gelassen zu
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