Licht und Dunkelheit
Tatsache, dass jemand aus Mintra in die Schlacht zog, um Menschen das Leben zu nehmen, oder dass es eine Frau gegeben hatte, die für den hohen Lord in die Schlacht zog.
Als hätte er ihren letzten Gedanken gehört, antwortete er ihr: »Niemand wusste, dass sie eine Frau war. Schneidet Euch die Haare ab, wickelt Eure Brust mit Bandagen ein und arbeitet mit dem Vorurteil, dass keine Frau so kämpfen kann wie ein Mann.« Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Meine Soldaten brauchen nicht die Verkleidung, um Euch als Gefährtin in der Schlacht zu akzeptieren. So ändern sich die Zeiten.«
Levarda schwieg. Sie musste über das nachdenken, was er ihr gesagt hatte. Es war mehr, als sie heute Nacht verstehen konnte. Eine Frau aus Mintra – eine Kriegerin. Das widersprach allen Regeln, auf denen ihr bisheriges Leben beruhte. Aber war sie denn besser? Erneut stiegen Tränen in ihr auf, die sie wütend unterdrückte.
Sie erhob sich langsam. »Ich danke Euch für Eure Hilfe. Ich stehe in Eurer Schuld.«
Geschmeidig glitt auch Lord Otis in die Höhe. »Ihr habt mir in den letzten Tagen ebenfalls einen großen Dienst erwiesen. Seht es als Ausgleich dafür.«
Schweigend gingen sie ins Lager zurück. Zwischen ihnen lag genug Abstand, sodass Levarda kein unsittliches Verhalten vorgeworfen werden konnte. An seine Hände in ihrem Gesicht und daran, dass sie vor weniger als einer Stunde in seinen Armen gelegen hatte, wollte sie nicht denken. Sie zog seinen Umhang fester um ihren Körper.
Vor dem Frauenzelt standen zwei Wachsoldaten. Neugier glomm in ihren Augen, die aber schwand, als ein scharfer Blick von Lord Otis sie traf.
Levarda sah auf den Umhang, der sie warm umhüllte.
»Behaltet ihn, Ihr könnt ihn mir morgen zurückgeben.«
Sie neigte den Kopf, knickste tief und verschwand im Zelt. Dort ließ sie sich auf ihrem Fell nieder, rollte sich zusammen, wickelte den Umhang um sich und vergrub die Nase in dem Stoff.
Burg Ikatuk
D ie letzten Tage der Reise verbrachte Levarda gemeinsam mit den Frauen in der Kutsche. Diesmal ertrug sie es mit Gelassenheit. Die Erlebnisse in der Nacht waren ihr eine Warnung gewesen. Sie war keine Kriegerin und es war ihre eigene Entscheidung gewesen, die Aufgabe anzunehmen. Es wurde Zeit, dass sie sich fügte.
Sie holte ihr Buch über Anstand und Regeln am Hofe hervor und vertiefte sich darin, las es mehrmals und lernte sogar die unverständlichen Vorschriften auswendig, was ihr den gutmütigen Spott von Lina und Melisana einbrachte.
Abends, nach dem Aufbau des Frauenzelts, übten die Dienerinnen die Regeln mit Levarda ein. Selbst Lady Smira schloss sich ihren Übungen an, und bald hallte vergnügtes Lachen im Zelt, was Levardas Herz leichter werden ließ.
Sendad kam bei der Kutsche vorbei, nachdem er so weit genesen war, dass er wieder reiten konnte.
Sita hatte zunächst für Wirbel gesorgt, sodass sich Lemar hilfesuchend an Levarda richtete. Gemeinsam suchten sie einen einfühlsamen Reiter mit weicher Hand für sie aus, der mit den Soldaten von Lord Otis ritt. So war Sita direkt in der dritten Reihe, vorn im Tross, und diese Lösung schien ihr zu gefallen. Dennoch hatte es Levardas Herz fast in Stücke gerissen, als sie jemand anderes auf ihrem Pferd reiten sah.
Vier Tage darauf erreichten sie am späten Nachmittag eine kleine Burg, eingebettet in hügeliges Gelände auf der Kuppe eines höheren Berges. Es gab Wälder ringsherum, die dicht und grün in der Sonne leuchteten. Die Landschaft erinnerte Levarda an die Täler ihre Heimat, nur fehlten das Gebirge und der mächtige Berg Asambra. Ihre Reise hatte mehr als drei Wochen gedauert und sie konnten froh sein, dass der Frühling sie auf der Reise gnädig vor längeren Regengüssen verschont hatte.
»Ist das die Festung des hohen Lords?«, fragte Levarda erstaunt, weil die Burg klein wirkte. Sie hatte eine Stadt und einen prachtvollen Bau für den Herrscher von Forran erwartet.
Lady Smira, die ebenfalls seit einiger Zeit die Gegend aus dem Fenster der Kutsche betrachtete, lachte.
»Nein, das ist Burg Ikatuk, der Sitz von Lord Otis. Wir werden uns hier eine Woche erholen, bevor wir meinem zukünftigen Gemahl unter die Augen treten.« Sie sah an sich herab. »Was würde er von mir denken, wenn er mich so sähe?«
»Er würde denken, wie wunderschön Ihr seid, und dass Euch keine andere Frau im Land auch nur bis zur Nasenspitze reicht.«
Ihre Cousine senkte verlegen den Kopf und knetete ihre Hände in den dünnen
Weitere Kostenlose Bücher