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Licht und Dunkelheit

Licht und Dunkelheit

Titel: Licht und Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Rachfahl
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an. Seine Anwesenheit war ihr völlig entgangen. Sie zog ihre Beine unter sich.
    »War es das erste Mal, dass Ihr Menschen getötet habt?«
    Forschend sah er sie an. Sie starrte zurück, bemüht, das Grauen und die Panik, die seine Worte in ihr auslösten, zu verdrängen.
    Ihre Augenlider schlossen sich wie von selbst. Da kroch sie erneut heran, die undurchdringliche Dunkelheit, und griff mit langen Tentakeln nach ihr. Und obwohl sie instinktiv verstand, dass ihre eigene Angst der Dunkelheit Macht gab, schaffte sie es nicht, sie zu unterdrücken. Sie schluchzte auf. Jemand packte ihren Kopf, sie schrie. Heißer Atem traf auf ihr Gesicht. Sie wollte sich aus dem Klammergriff befreien, zerrte an den Händen, schüttelte den Kopf, wand sich mit ihrem ganzen Körper.
    »Seht mich an!«, befahl er, keinen Widerspruch duldend.
    Das Feuer seiner inneren Quelle rann durch seine Hände und loderte in Flammen über ihr Antlitz. Die Flammen verdrängten die Dunkelheit und Levarda riss die Augen auf.
    Erst sah sie alles verschwommen, dann wurde ihre Wahrnehmung klarer. Sie sah das Gesicht von Lord Otis dicht vor ihrem eigenen. Der Blick aus seinen tiefschwarzen Augen verhakte sich in ihrem. Ihr Atem ging flach, sie hörte auf, sich zu wehren. Entsetzt stellte sie fest, dass sie ihrer Kräfte beraubt war. Seine Stimme drang an ihr Ohr – unerbittlich.
    »Hört mir genau zu«, sagte er. »Es gibt ein Ritual, mit dem Ihr Lishar um Vergebung bittet, dafür, dass Ihr ein Leben genommen habt. Ihr benutzt es bei der Jagd, wenn Ihr ein Tier getötet habt. Genau das führt Ihr jetzt durch! Bittet jeden einzelnen der getöteten Männer um Verzeihung.«
    Angstvoll schüttelte Levarda den Kopf. Sie konnte nicht noch einmal die Augen schließen. Dann würde sie die Dunkelheit holen und es gäbe keinen Weg mehr zurück.
    Über seine Hände floss ein weiterer Strom von Energie. Sein Feuer rann glühend durch ihren Körper, traf auf das ihre. Beide Flammen, die rotglühende und die blau leuchtende, verbanden sich miteinander, woben ein festes Netz um ihr inneres Zentrum.
    »Ihr dürft keine Angst haben, ich bin bei Euch. Nehmt meine Energie.«
    Sie griff danach, öffnete ihr Herz, tauchte hinab in die Tiefe ihrer Kraftquellen. Sie spürte ihre Verbindung zu den Elementen, die sie verloren hatte. Das Wasser gab ihr die Ruhe, die Erde den Halt, die Luft trug ihren Geist hinaus in die Dunkelheit. Sie veränderte sich von Schwarz zu Grau, bis dichter Nebel sie umgab. Der erste Mann trat hervor, gewann an Kontur, ein Pfeil ragte aus seinem Kopf.
    »Verzeiht, dass mein Pfeil Euch tötete«, sprach sie leise.
    Der Tote nickte, verschwand. Der Nächste tauchte aus dem Nebel hervor, einen Pfeil in der Brust. Levarda wiederholte ihre Worte und auch dieser Mann nickte, bevor er verschwand. So kam ein Geist nach dem anderen, bis der letzte Getötete, in dessen Brust ein Spalt klaffte, vor ihr auftauchte. Der Nebel verfärbte sich, wurde dunkler, und für einen Moment spürte Levarda wieder die Angst. Aber das rotblaue Band des Feuers gewann erneut an Kraft, erhellte die Dunkelheit.
    »Verzeiht mir, dass ich mit dem Schwert Euer Herz durchschnitt.«
    Der Mann nickte nicht. Er sah sie traurig an, dann hörte sie eine Stimme wie einen Windhauch. »Auch ich hätte Euch getötet.« Seine Gestalt verflüchtigte sich. Die roten Flammen zogen sich aus ihr zurück.
    Levarda öffnete die Augen und warf sich in Lord Otis‘ Arme, der ihren Kopf losgelassen hatte. Sie umschlang ihn, drückte ihr Gesicht an seine Schultern, ließ ihren Tränen freien Lauf.
    Er rührte sich nicht. Sie wünschte sich, dass er seine Arme um sie legen würde, sie tröstete, so wie es ihre Mutter getan hatte, wann immer sie die Erkenntnis traf, dass sie anders war als die anderen, und sie an ihrer Einsamkeit zu ersticken drohte. Aber seine Arme hoben sich nicht. Seine Hand streichelte nicht ihren Kopf. Steif und bewegungslos wie ein Fels blieb er in ihrer Umklammerung.
    Irgendwann ging ihr Schluchzen in ruhiges Atmen über. Sie spürte, wie sich das lähmende Gefühl in ihr verflüchtigte. Sie ließ Lord Otis los und rückte von ihm ab.
    Sie schämte sich ihrer Schwäche und der Tatsache, dass sie sich an ihn geklammert hatte wie ein kleines Kind. Nach und nach beruhigte sie sich und die Hitze aus ihrem Inneren bahnte sich einen Weg nach draußen. Ihr war heiß. Mit der Hand wollte sie den Umhang von ihrem Körper ziehen, aber seine Stimme bremste sie.
    »Was habt Ihr vor?«
    »Mir ist

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