Licht und Dunkelheit
Handschuhen.
Die Kutsche ratterte über die Zugbrücke und hielt vor dem Eingangsportal. Auf dem Hof wirbelten bald Soldaten mit Knechten durcheinander. Ein Tumult entstand. Levarda schien es, als würden die Menschen planlos herumrennen, doch nach und nach lichtete sich das Getümmel. Sie überlegte, ob sie Ihrem Bedürfnis folgen und aussteigen sollte, oder ob das unschicklich wäre. Bisher hatte der Kutscher immer für sie die Türen geöffnet. Sie verstand den Grund für die Verzögerung nicht, bis sie vor dem Portal die hochgewachsene Gestalt von Lord Otis entdeckte, der mit einer Magd sprach.
Die Magd hielt den Blick gesenkt, ihre Lippen waren aufeinander gepresst und die Stirn gefurcht. Ihre Kleider besaßen eine außergewöhnliche Qualität. Levarda hatte lang genug mit den Tuchmachern in ihrem Dorf gearbeitet, dass sie es selbst auf die Distanz einschätzen konnte. Sie fragte sich, was der Hausherr mit einer Dienerin so ausführlich besprach. Außerdem interessierte es sie, ob dies der Grund dafür war, dass der Kutscher sie nicht aus dem Gefährt herausließ. Bevor sich Levarda zu einem Entschluss durchringen konnte, wurde die Tür geöffnet.
Zuerst stiegen die Dienerinnen aus, dann Lady Smira und zuletzt Levarda. Von beiden Dienerinnen flankiert ging Lady Smira gemessenen Schrittes die fünf Stufen bis zur Eingangstür hoch. Levarda folgte ihrer Cousine und spürte die neugierigen Blicke der Knechte vor der Burg. Zwei weitere Mägde erschienen an der Tür. Die Augen gesenkt, warfen sie verstohlene Blicke auf die Ankömmlinge, wobei sich ihre Aufmerksamkeit auf die zukünftige hohe Gemahlin konzentrierte.
Mit einem knappen »Es ist alles gesagt« beendete Lord Otis gebieterisch sein Gespräch mit der Frau.
Gemeinsam betraten alle die Eingangshalle.
Levarda hielt einen Moment inne und ließ ihren Blick schweifen. Die Halle bestach durch ihre schlichte Eleganz. Eine Treppe führte in ein Obergeschoss, das sich am Absatz in zwei Gänge teilte. Links von der Treppenbasis gab es ein Portal mit verzierten Türflügeln. Blumenranken wanderten die Türbogen hoch und sie fragte sich, was sich dahinter verbarg. Rechts neben der Treppe gab es eine schlichte, hölzerne Tür, aus der soeben ein Diener trat und sich dem Hausherrn dezent näherte.
Ohne hinzusehen löste Lord Otis seinen Reisemantel und überließ ihn dem Diener. Darunter kamen seine Stiefel, von der Reise mit Lehm bespritzt, die enganliegende braune lederne Reithose, der Gurt mit dem Schwert und die tailliert geschnittene dunkelblaue Uniformjacke zum Vorschein. Das silberfarbene Emblem auf der linken Brust, der hohe Kragen und sein schwarzer Bart, von der Narbe im Gesicht geteilt, ließen ihn verwegen und gleichzeitig würdevoll aussehen.
Hier in seiner Burg strahlte seine Aura in einer Art, die Levardas Plusschlag beschleunigte. Das war sein Grund und Boden. Sie befanden sich in seinem Machtbereich.
Mit einer knappen Kopfneigung – höflich – wandte sich Lord Otis an Lady Smira.
»Willkommen in meinem Heim, Lady Smira. – Rika«, er zeigte auf die gutgekleidete Magd, »wird Euch Eure Räume für die nächsten Tage zeigen.«
Er deutete als Nächstes auf eine ältere, rundliche Magd mit auffallend rotem Haar, die neben Rika stand. »Kijana wird Euch neben Euren eigenen Dienerinnen hier zur Verfügung stehen. Bitte scheut Euch nicht, Eure Wünsche zu äußern. Ich möchte, dass Ihr Euch auf meiner Burg wie zu Hause fühlt.«
Er winkte eine weitere Magd zu sich, die jetzt aus Rikas Schatten trat. Schwarze, kurze Locken umrahmten das Gesicht des Mädchens, das auf der einen Seite durch ein handgroßes Brandmal entstellt war.
»Das ist Adrijana. Sie wird sich um Euch, Lady Levarda, kümmern.« Weder wandte sich Lord Otis dabei ihr zu, noch richtete er seine Worte direkt an sie.
Seit der Nacht am See war es das erste Mal, dass sie so nah bei ihm stand. Levarda war am Morgen nach dem Vorfall mit einem seltsamen Gefühl aufgewacht, das sie nicht einordnen konnte. Geborgen von dem Mantel, der seine Aura ausströmte, mit seinem Geruch in ihrer Nase, hatte sie ohne weitere Albträume tief und fest geschlafen. Lag es an dem erholsamen Schlaf, dass sie sich so ruhig gefühlt hatte? Nein, ruhig war nicht das richtige Wort. Es gab keine Zweifel, keine Angst mehr in ihr, stattdessen leuchtete ein kleines Licht in ihrem Innern, das sie ausfüllte und zufrieden machte. Gleichzeitig fühlte sie sich leicht wie nach einer langen Meditation.
Jetzt stand er
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