Licht und Dunkelheit
saß auf dem Fenstersims und las in dem dritten Buch von Larisan, während die Magd ihr ein reichhaltiges Frühstück auf das Sims stellte. Es gab Brot, Honig, einen Getreidebrei und Äpfel.
Trotz des gehaltvollen Abendmahls verspürte Levarda Hunger und vertilgte alles bis auf den letzten Krümel.
»Wenn Ihr in den Mengen weiteresst, werdet Ihr bald dick und rund sein«, bemerkte die Dienerin mit einem Augenzwinkern.
»Dann bin ich sicher auch nicht mehr so unruhig. Wie kamst du gestern darauf, ich sei unruhig gewesen?«
Verblüfft sah Adrijana Levarda an. »Das dachte ich nicht. Ihr habt den ganzen Tag gelesen, wieso – « Das Mädchen biss sich auf die Lippen, als ihm klar wurde, dass es seinen Herrn verraten hatte. Betreten senkte Adriana den Kopf über ihre Näharbeit.
Konnte er ihre Gefühle erspüren? Lag es an ihrer Verbindung, als sie seine Energie genutzt hatte, um Sendad zu heilen? Oder an der Nacht am See, als sein Feuer die Dunkelheit vertrieb? Wenn er ihre Unruhe wahrnahm, musste sie seine nicht genauso fühlen?
Levarda lehnte sich an die Mauer, schloss die Augen, konzentrierte sich auf ihren Atem, wanderte langsam durch ihren Körper. Sie stieß auf das Leuchten in ihrem Innern, das sie seit dieser Nacht am See in sich trug. Es war keine fremde Energie, sondern ein Teil von ihr, soviel hatte sie herausgefunden. Nein, daran konnte es nicht liegen. Sie streckte ihre Sinne aus und suchte das Muster von Lord Otis. Er befand sich nicht in der Burg. Sie nahm ihn in weiter Ferne wahr. Er war nicht allein. Sie spürte Umbra in seiner Nähe. Ein Stich durchzuckte sie. Wie gerne wäre sie selbst an diesem schönen Morgen ausgeritten. Sie versuchte, mehr von ihm wahrzunehmen als seine Aura, doch da war nichts, absolut nichts.
Levarda öffnete die Augen und sah aus dem Fenster. Am Rande des Waldes konnte sie einen Reiter sehen. Sie schüttelte den Kopf. Nein, es war unmöglich, dass er wahrgenommen hatte, wie aufgewühlt sie durch die Lektüre des Buches gewesen war. Vermutlich hatte Adrijana einfach unbedacht etwas gesagt. Das war keineswegs beruhigend. Dennoch schob sie ihre Überlegungen zur Seite und vertiefte sich in das Buch auf ihrem Schoß.
Larisan war in die Berge von Gestork geritten, in der Absicht, dort eine neue Heimat zu finden. Sie rettete dem hohen Lord das Leben, als dieser bei einem Zusammentreffen mit einem Bären den Kürzeren zog.
Das Angebot, sie in seine Garde aufzunehmen, nahm sie an, denn nach einem Jahr der Einsamkeit sehnte sich Larisan nach ihrer Tochter und Kilja. Sie nannte sich nun Bihrok, stieg mit ihren Fähigkeiten, weit in die Ferne zu sehen, und mit ihrem strategischen Feinsinn schnell in der Hierarchie der Garde auf. Keine zwei Jahre später übernahm sie die Position eines im Kampf gefallenen Offiziers.
So erhielt sie schließlich als Offizier die Einladung zur Hochzeit ihrer eigenen Tochter. Nur Kilja erkannte Larisan in dem Offizier Bihrok, aber er bewahrte ihr Geheimnis. Für ihre Verdienste im Kampf bekam sie einen Gutshof geschenkt, den sie von einem älteren Ehepaar bewirtschaften ließ. Dieser lag in der Gemarkung Lord Kiljas, und es dauerte nicht lange, bis die gegenseitige Anziehungskraft sie erneut zueinander führte. Fortan trafen sich Kilja und Larisan heimlich bei Vollmond auf ihrem Gutshof und liebten einander.
Es klopfte an der Tür.
»Tretet ein«, rief Levarda und klappte das Buch zu, um es hastig hinter ihren Rücken zu schieben, wo sie es zwischen sich und der Mauer verbergen konnte.
Melisana kam herein, erschreckend blass im Gesicht. »Verzeiht die Störung, Lady Levarda«, rief sie von der Tür aus, »Ihr müsst schnell kommen, Mylady ist krank.«
Rasch sprang Levarda vom Fenstersims, schnappte sich ihre Tasche und folgte Melisana durch die Gänge.
Bei Lady Smira waren die Vorhänge zugezogen.
»Geht raus, geht alle raus, lasst mich in Ruhe«, stöhnte ihre Cousine von ihrem Bett her. Dann lehnte sie sich seitlich aus dem Bett und erbrach sich auf dem Boden. Rika rümpfte angewidert die Nase, sie war eben mit einem Eimer Wasser hereingekommen und reichte ihn gleich an Lina zum Aufwischen weiter.«
Lady Smira legte sich stöhnend zurück. »Ich sterbe«, flüsterte sie kaum hörbar.
Levarda eilte alarmiert an ihre Seite und legte die Hand auf Smiras Stirn, die einen säuerlichen Geruch ausströmte. Sie schloss die Augen, tauchte ein in den Körper der jungen Frau und wich sofort wieder zurück in ihren eigenen.
Lady Smira starrte
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