Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Ernst
Vom Netzwerk:
.trank ihn mit einem Zug leer. Dann ließ er sich wohlig in die Kissen zurückfallen. Aber Anna war energisch und bestand darauf, dass er auch essen müsse.
    »Wenn ich wiederkomme, musst du alles aufgegessen haben«, sagte sie. »Nein, nur keine Ausrede, es wird gegessen. Du musst doch wieder zu Kräften kommen. Oder willst du ewig so daliegen?«
    »Nein, ich weiß ja, dass du mich los sein willst.«
    »Davon ist jetzt nicht die Rede. Du isst jetzt, und dann wirst du wieder schlafen. Du verstehst mich doch?«
    Er nickte und griff nach einem der Brote.
    Anna sah noch nach, ob der Fensterladen dicht geschlossen sei. Dann ging sie hinaus und sperrte die Tür hinter sich ab.
    Wenig später war sie oben auf dem Heuboden. Dort
    war noch ein Heustock vom vorigen Jahr, eine Reserve gewissermaßen, wenn plötzlich ein Wetterumsturz käme und man das Vieh nicht auf die Weide lassen könne.
    Nicht von oben, sondern von der hinteren Seite her begann sie dann mit den Händen das Heu herauszureißen in kleinen Büscheln. Es entstand ein Loch, das immer größer und tiefer wurde. Es war eine mühsame Arbeit. Das herausgerissene Heu verstreute sie ringsum auf dem Boden. Nach Stunden war das Loch zu einer tiefen Höhle erweitert, so dass der Flieger sich notfalls darinnen verstecken konnte.
    Vielleicht war es kindisch, was sie tat. Sicher würden sie mit Sonden auch den Heustock durchstöbern. Aber es gab doch eine kleine Hoffnung, und vor allem die Beruhigung, dass sie ihrerseits alles tat, um diesen Menschen vor Schlimmerem zu bewahren.
    Als sie dann ihr Werk betrachtete, überkam sie eine stille Heiterkeit und ihr Bewusstsein rückte weit in die Vergangenheit zurück, wie sie als Kinder gespielt und sich tief im Heu verkrochen hatten. Das hier war allerdings kein Spiel. Hier ging es schließlich um einen Menschen.
    Nun ging sie wieder hinunter und schaute in die Kammer. Oliver Pratt hatte alles aufgegessen und schlief ganz tief. Sie sperrte die Tür wieder ab und ging nochmals auf den Heuboden hinauf, um zu überlegen, wie sie dem Flieger notfalls noch einen Ausweg verschaffen könne, falls man ihn entdeckte. Vielleicht müsste sie das Loch noch weiter vorgraben, bis zu der Luke, durch die er sich in den Stall hinunterlassen könnte. Es war merkwürdig, was sie alles bedachte, nur um ihn zu retten.
    Auf einmal hatte sie einen Schreck, der ihr schmerzhaft bis in die Kniekehlen hineinfuhr. Sie hatte unten im Hüttenraum Schritte gehört. Waren sie schon da?
    Jetzt rief eine Stimme nach ihr.
    Sie schüttelte ihren Kittel aus, dass die Heuhalme
    abfielen. Dann stieg sie die Leiter hinunter. Ihr Herz klopfte bis zum Hals hinauf. War alles umsonst gewesen, dachte sie. Sprosse für Sprosse stieg sie abwärts, und bei jedem ruckartigen Abgleiten betete sie innig darum, dass der Mut die Angst betäuben möchte, die sie fast erstickte.
    Dann stand sie unten und ihre Augen mussten sich erst an das Taglicht gewöhnen, denn oben auf dem Heuboden war es ziemlich düster geworden. Dann aber, als sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, atmete sie so laut und befreit auf, dass der Mann es hören musste, der mit krummen Beinen an den Tisch gelehnt dastand. Die Angst war wie weggeblasen. Mut erfasste sie und mit unauffälliger Gleichgültigkeit konnte sie sagen:
    »Ach – du bist es.«
    »Jawohl, ich bin es«, sagte Urban Loferer und lüftete seinen speckigen Hut mit der verwaschenen Spielhahnfeder. »Hast du einen andern erwartet?«
    Anna fror plötzlich bei dieser Frage. War er nur ein Vorbote? Sollte er nur das Terrain erkunden und kamen die Spürhunde schon nach? Alles ringsum war plötzlich wieder voll drohender Gefährlichkeit.
    »Wen soll ich denn erwartet haben?«, fragte sie, sich zur Ruhe zwingend.
    »Mich wahrscheinlich nicht. Aber vorbeigehen hab ich doch nicht können. Schönheit zieht mich immer an wie das Licht die Motte.«
    Ich muss ihn so schnell wie möglich loswerden, dachte Anna. Und sich zur Freundlichkeit zwingend, fragte sie: »Willst eine Milch, Loferer?«
    Der Schleicher stemmte sich vom Tisch weg. Ihre Freundlichkeit überrieselte ihn wie warmer Regen.
    »Und vielleicht ein Stück Hausbrot mit etwas Butter, wenn ich bitten darf. Es sei denn, du denkst wieder, dass ich mir heute noch nichts verdient hab.«
    Anna wusste sofort, worauf er anspielte, ging aber nicht darauf ein. Wichtig war jetzt nur, ihn bei guter
    Laune zu halten und ihn dann baldmöglichst wieder fortzuschicken. Sie stellte ihm ein Glas Milch hin, den

Weitere Kostenlose Bücher