Licht vom anderen Ufer
Brotlaib und ein großes Stück Butter. Er nahm hinter dem Tisch Platz und Anna lehnte sich mit verschränkten Armen etwas abseits vom Fenster, so dass sie bequem das Almfeld übersehen konnte.
»So viel Butter gleich«, sagte er. »Ist das nicht Verschwendung in so schlechten Zeiten?«
»Iss nur und lass es dir schmecken«, sagte sie kurz.
Bedachtsam strich er sich fingerdick Butter aufs Brot, blickte sie auf einmal durchdringend an und fragte mit tückischem Schmunzeln:
»Hast du ein schlechtes Gewissen, weil du heute gar so freundlich bist?«
Anna spürte einen Stich und fühlte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht schoss. »Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben?«
Und weil sein Gesicht wieder glatt und freundlich war, fügte sie hinzu: »Wär deines so rein wie das meine.«
Er lachte über diesen Witz und biss herzhaft in das Brot. Dann sah er sie wieder an.
»Bist du im Heu gewesen?«
»Warum?«
»Weil – « Er streckte den Arm aus und zupfte ihr ein paar Heufäden vom Spenzer. »Tatsächlich, es ist Heu.«
»Ich hab oben ein bissl zusammengeräumt«, antwortete sie und schob seine Hand fort.
»Schad, dass ich’s nicht gewusst hab. Mit dir wär ich nämlich ganz gern im Heu gewesen.«
»Und sonst bist du gesund?«, fragte Anna gezwungen lachend.
»Sonst fehlt mir tatsächlich nichts. Aber zu mir bist du ja so hart wie Beton, wenn er zwei Tag angezogen hat.«
Anna griff nach einem Kamm und kämmte ihr Haar vor dem Spiegel durch. Dabei blickte sie immer wieder
einmal schnell durch das Fenster auf das Almfeld hinaus. Ihre Gedanken gingen wie gehetzt. Weiß er was? Hat er einen Verdacht? Warum ist er gekommen, wo ich ihn erst vor ein paar Tagen so heruntergekanzelt hab?
Oh, wie sie ihn hasste. Sein faunisches Lächeln, sein Schmatzen, sein Schlürfen. Es wäre ihr eine Wonne gewesen, ihn hinauswerfen zu dürfen. Seit dieser Kerl im ersten Kriegsjahr in Blockstein aufgetaucht wär – niemand wusste eigentlich woher er kam – hatten die Menschen sich vor ihm geduckt – obwohl er nie polternd in die Höfe gestolpert war, sondern immer auf huschenden Sohlen, gleich einem Teufel aus der Finsternis mit einer Knute in der Hand, die er nie offen zeigte, sondern hinter dem Rücken verborgen hielt. Aber wehe, wenn er zum Schlag ausholte. Dann saß es. Er kannte keine Gnade, war erbarmungslos wie die Zeit selber, und Anna wusste in diesem Augenblick, dass sie ihn hätte liegen und verbluten lassen, wäre er mit dem Fallschirm aus den Lüften gefallen.
»Setz dich halt ein bissl zu mir«, sagte Loferer plötzlich, nachdem er sich satt gegessen hatte. »Ich beiß dich nicht.«
»Wer weiß grad«, antwortete Anna kurz, setzte sich aber doch nieder, zwar nicht an seine Seite, sondern auf den äußersten Rand der Bank. Er zündete sich eine Zigarette an, blies den Rauch gegen die Decke und meinte mit schmeichlerischer Stimme:
»Wenn ich dich so anschau, möcht ich gar nicht glauben, dass du so kalt sein kannst.«
»Kalt?«, fragte sie.
»Ja, wie ein Fisch. – Hast keinen Aschenbecher? Ich möcht mir nicht deinen Unwillen zuziehen, wenn mir ein Bröserl Asche auf den Boden fällt.«
Anna griff nach dem Aschenbecher, der auf dem Fensterbrett stand. Es war ein uraltes, eisernes Monstrum aus einer Granathülse vom Ersten Weltkrieg.
»Wie manierlich du sein kannst«, spöttelte sie.
Geschmeichelt strich er sein Bärtchen und dachte daran, dass eine andere ihn kürzlich ein »Ferkel« genannt hatte. Eingenommen, wie er von sich war, kam er auf den törichten Gedanken, dass es Anna Leid täte, ihm kürzlich in einer bösen Aufwallung die heftigsten Grobheiten an den Kopf geworfen zu haben.
»Wenn du so nett bist«, sagte er plump, »dann möcht man nicht glauben, dass du Haare auf den Zähnen hast.«
»Das hat mir noch niemand gesagt.«
»Du bist vielleicht sonst zu niemand so abweisend wie zu mir.«
»Ich bin zu allen gleich.«
Skeptisch wiegte er den Kopf hin und her. »Wenn ich bloß dran denk, wie du zu mir schon warst.«
»Wie man in den Wald hineinschreit, hallt es draus zurück«, antwortete Anna. »Bei dir weiß man ja nie, wie es gemeint ist.«
»Ehrlich. Grundehrlich«, beteuerte er und legte dabei drei Finger seiner Rechten aufs Herz. »Du müsstest mich bloß besser kennen. Freilich bin ich kein Thomas Statiner, aber auf der Brennsuppe bin ich grad auch nicht dahergeschwommen.« Er rückte näher heran und wurde noch vertraulicher. »Wenn du bloß ein bissl netter wärst zu mir. Von
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